See und Zeit

Mit „Master and Commander“ hat Peter Weir einen seltsam verhaltenen Film gedreht. Nur manchmal geht es um Kampf und Tapferkeit – wichtiger ist das ziellose Gleiten im Meer

von JAN DISTELMEYER

Noch bevor irgendein Schiff in Sicht kommt, haben sich die Mannschaftsteile formiert und mit ihnen unsere Erwartungen: Russell Crowe als Star in dem neuen Film von Peter Weir, einer Adaption von Motiven aus Patrick O'Brians kultisch verehrter Seefahrerromanserie um Capt. Aubrey und Dr. Maturin. Wohin wird dieses Schiffsabenteuer führen? Wie wird es sich verhalten im Dreieck zwischen O'Brians „Hornblower for grown-ups“, dem seit „Gladiator“ seltsam hilflos im Mainstream versandeten Crowe und Peter Weir, der nach „Fearless“ (1993) und „The Truman Show“ (1998) eine eher unberechenbare Größe geblieben ist?

Mit „April 1805“ und „Napoleon ist Herr über Europa“ kündigen Schriftinserts in den ersten Sekunden von „Master and Commander“ den historischen Hintergrund an. Irgendwo im südlichen Atlantik betreten wir das englische Kriegsschiff „HMS Surprise“, um es in den folgenden 2[1]/4 Stunden nur für wenige Minuten noch einmal zu verlassen. 28 Kanonen sind an Bord und 197 Mann, die in ihren Hängematten im Schiffsbauch an eine Schlachthausladung Rinderhälften erinnern. Ehe wir den Namen des Kapitäns, „Lucky“ Jack Aubrey (Russell Crowe), erfahren, stellt die Kamera eingebrannte Kosenamen der Kanonen vor. First things first.

Durch den Krieg erwacht der Film aus der Ruhe, die zunächst nur jene vor einem Sturm sein kann. Kanonenkugeln eines kaum sichtbaren Feindes, der Fregatte „Acheron“, durchschlagen das Innere der „HMS Surprise“. Hektische Aufnahmen schneiden Wunden von Schiff und Besatzungen aneinander, wollen dem Grauen einen Körper geben und pendeln sich ein zwischen dem blutigen Schuften des Schiffsarztes Stephen Maturin (Paul Bettany) und dem Kampf gegen das eindringende Wasser. Eine neue Schlacht mit alten Bildern: Es scheint, als ginge „Master and Commander“ mit der gleichen von „Saving Private Ryan“ inspirierten Selbsterfahrungsästhetik an die Geschichte heran wie fast jeder teure und blöde Kriegsfilm der letzten Jahre. Näher, mein Krieg, zu dir, brüllt die Kamera jedoch nur, um diesmal bald eine andere, beinah selbstvergessene Haltung einzunehmen. Die Nähe wird bleiben, bisweilen unterbrochen von Totalen des schweren Schiffs auf hoher See, doch wird sie immer weniger Sensation und stattdessen ihr Gegenteil finden. Der Auftrag der „Surprise“, die bedrohliche Acheron auszuschalten, verschwindet so unmerklich, wie die französische Fregatte zu Anfang aus dem Nebel auftauchte. Was bleibt, ist Alltag an Bord, ist die „HMS Surprise“ selbst. Segel, Tampen und Planken verbinden sich durch Handgriffe, durch Hände und Gesichter zu einer eigenen Welt, die kaum mehr ein Außen kennt, weil sie selbst außerhalb von allem steht.

Nur die Dialoge zwischen dem tadellosen Captain und seinem Freund Maturin erheben sich deutlich von der bloßen Präsenz der Seefahrt, um ein anderes Innenleben zu skizzieren. Gemeinsames Musizieren und Debatten, ob Macht Menschen korrumpiert, ob Disziplin und Strenge das Schiff zusammenhalten, verbinden und entzweien Aubrey und Maturin, die für nicht wenige Patrick-O'Brian-Fans immer schon ein Liebespaar waren. Als materialistischer Beobachter ist der Arzt und Naturwissenschaftler tatsächlich „der einzige Rebell“, den sich Aubrey an Bord leisten kann. Aubrey wiederum bleibt der Einzige, der mit hehren Sätzen über seinen Ziehvater Admiral Nelson, über leadership, Stolz und England eine Mission in die Verlassenheit des Meeres einzuschreiben versucht.

Jener Sinnstiftung entgegen steht letztlich der Rhythmus der See. Ähnlich Herman Melvilles „Moby Dick“ ist die gejagte „Acheron“ die längste Zeit eine Schimäre, ein drohender Teil des kriegerischen Selbst der „Surprise“, und fast ebenso unsichtbar wie jene Heimat, um die offiziell gekämpft wird. In seinen schönsten Momenten jenseits der Kameradenherrlichkeit ist „Master and Commander“ ein Seestück ohne Ziel; in den klügsten Augenblicken deutet er die Wechselbeziehung zwischen Naturwissenschaft und Kriegführung an. Gleichwohl dürfen auch hier wieder Jungs in der Initiationsmaschine Krieg zu Männern heranwachsen, selbst wenn der Preis dafür an ihren Körpern abzulesen ist.

Der Film endet, wie er begonnen hatte: mit einer „modernen“ Schlacht. Dazwischen liegen die vielleicht merkwürdigsten, verhaltensten zwei Stunden des diesjährigen Blockbusterkinos. Die schon bei Melville gebrochene und zugleich vitale Romantik der christlichen und vor allem männlichen Seefahrt ist auch in „Master and Commander“ eine Frage der Dauer. Zeit vergeht an Bord und arbeitet für diesen Film.