„Meine Arbeit speist sich aus dem Leben“

FERNSEHFILM Der Schauspieler Matthias Brandt über den Zauber von Oldenburg, die Konferenzsucht der Senderhierarchen, Nordkorea und – Götz George

Familie: Geboren am 7. Oktober 1961 in Westberlin. Jüngster von drei Söhnen. Mutter Rut Brandt, Journalistin, Repräsentantin, Buchautorin. Vater Willy Brandt, Journalist, Sozialdemokrat, Bundeskanzler. Aufgewachsen in Berlin und der damaligen Hauptstadt Bonn. Lebt heute in Berlin-Zehlendorf mit Frau und Tochter.

■ Laufbahn: Schauspielschule in Hannover. Erstes Engagement am Oldenburgischen Staatstheater, dann in vielen Ensembles von Wiesbaden bis München. Seit 2000 auch verstärkt im Fernsehen zu sehen. 2003 als Spion Günter Guillaume in Oliver Storz’ Fernsehfilm „Im Schatten der Macht“. Haufenweise Auszeichnungen.

■ Demnächst: In „Die Frau, die im Wald verschwand“ (29. April, 20.15 Uhr, ARD) sucht Brandt alias Horst Karg, wieder unter der Regie von Oliver Storz, in den Fünfzigerjahren völlig überraschend einen Freund aus Kriegstagen auf – kurz nachdem dessen Frau spurlos verschwunden ist. Was hat der undurchsichtige Karg damit zu tun?

INTERVIEW DAVID DENK

taz: Herr Brandt, beginnen wir mit der Frage, die uns alle sehr interessiert: Welche Erinnerungen haben Sie an … Oldenburg, die Stadt Ihres ersten Theaterengagements?

Matthias Brandt: Nur die besten. Das war ein schönes kleines Theater, das jeden Abend ausverkauft war. Mit ein paar richtig guten Schauspielern, von denen ich viel gelernt habe. Ich habe gearbeitet wie ein Blöder und wenn’s mal nicht so gut war, stand das nicht gleich in jedem Feuilleton. Auch das war gut, ich fühlte mich auch so schon überfordert genug.

Was haben Sie in Oldenburg über Ihren Beruf gelernt?

Ich habe gleich im ersten Jahr neun Rollen gespielt, also praktisch jeden Abend vor Publikum gestanden. Und das ist nun mal die einzige Art, den Schauspielerberuf, der nicht zuletzt ein Handwerksberuf ist, zu lernen! Indem man spielt, spielt, spielt. Auch ganz wichtig: Ich musste sehr schnell lernen, mich und meine Kräfte einzuteilen.

Was meinen Sie damit?

Als ganz junger Schauspieler neigt man ja zur Verausgabung – in allem, was man macht. Das ist mir grundsätzlich sympathisch, aber nicht ewig durchzuhalten und manchmal auch einfach falsch. Es gibt Rollen, die dadurch gewinnen, dass man sie etwas kühler, reservierter angeht.

Zur Verausgabung scheinen Sie auch heute noch zu neigen. Eine Journalistenkollegin nannte Sie mal „einen der fleißigsten Schauspielern unter den guten“.

Man darf nicht vergessen, dass die Filmerei in den letzten Jahren für mich auch die Eroberung eines neuen Berufs war. Dem des Filmschauspielers, der sich von dem, was ich vom Theater her kannte, doch sehr unterschied. Und auch diesen Beruf habe ich wieder durchs Machen gelernt und, ganz simpel: Ich arbeite gerne. Mir macht das wirklich Spaß.

Wie kommt es, dass Sie trotzdem in so wenigen schlechten Filmen zu sehen waren? Intuition? Oder einfach Glück?

Es ist natürlich auch Glück dabei. Bei manchen Drehbüchern merkt man ja nach drei Seiten, dass das Mist ist, da fällt die Entscheidung dann natürlich leicht. Es gibt aber auch Projekte, bei denen man nicht gleich erkennt, wohin die Reise geht. Da muss man intuitiv entscheiden. Aber auch dann liegt man natürlich manchmal falsch. Um dieses Risiko zu minimieren – ausschließen lässt es sich ja sowieso nie –, ist mir eine Kontinuität in der Zusammenarbeit mit einzelnen Regisseuren auch so wichtig.

Mit Oliver Storz etwa haben Sie schon drei Filme gedreht, zuletzt das Kammerspiel „Die Frau, die im Wald verschwand“, das am 29. April im Ersten läuft. Was schätzen Sie an ihm?

Storz kommt aus einer anderen Zeit – auch des Fernsehens. Der war Theatermann, was man seinen Büchern und Filmen anmerkt. Ich mag das. Er ist hochintelligent, sehr gebildet und weiß so viel über unseren Beruf. Die Arbeit mit ihm ist nie oberflächlich. Er vertraut seinen Schauspielern, die er sich sehr sorgfältig aussucht, und gibt in der Arbeit ziemlich knappe Hinweise, die mir bei der Suche nach Material für meine Rolle helfen, ohne dass er mir diese Suche abnimmt.

Wie sind Sie beispielsweise an Ihre Rolle in „Die Frau, die im Wald verschwand“ herangegangen?

Diese Figur trägt ja Kriegstraumata mit sich herum. Ich habe Adäquates zum Glück nie erlebt, aber das ist eine Situation, vor der ich als Schauspieler häufig stehe. Ich muss ja andauernd …

„so tun als ob“, haben Sie mal gesagt.

Genau. Method Actors [Anhänger einer von Lee Strasberg begründeten Schauspieltechnik, d. Red.] könnten Ihnen diese Frage wesentlich weniger verworren beantworten, als ich dies nun tun werde, weil sie einen klareren Ansatz verfolgen. Bei mir hat aber keine Methode was genützt. Es gibt einfach immer einen Punkt, an den ich beim Lesen eines Drehbuchs komme, wenn’s mir denn gefällt, wo ich an eine Figur andocke und von dort aus entwickelt man das dann. In diesem Fall war es die Beschreibung einer Szene zu Anfang des Films, in der meine Figur draußen in der Dämmerung steht und das Leben im Haus eines früheren Freundes beobachtet. Er bekommt wie auf einer Theaterbühne ein „besseres“ Leben präsentiert. Das gefiel mir als Moment sehr. Es gibt auch Figuren, die man unbedingt spielen will, weil man einfach Lust auf die Klamotten hat. Matti Geschonneck hat mich mal mit dem Versprechen geködert, ich dürfte ein Halskettchen tragen.

Wie wichtig ist eigentlich Talent, um als Schauspieler erfolgreich zu sein?

Das ist ja eigentlich eine seltsame Frage, oder? Aber natürlich berechtigt. Es ist manchmal schwierig, weil ja viele meinen, alles zu können: Bücher schreiben, singen, was weiß ich noch und eben auch Schauspieler sein. Aber vielleicht ist das alles ja doch ein bisschen schwieriger – und dadurch, dass man es macht, ist man es noch lange nicht.

Fühlen Sie sich vom deutschen Fernsehen manchmal unterfordert?

Ja, klar. Weil einfach durch diese Bürokratisierung der Sender, dadurch, dass zu jedem Film zig Konferenzen abgehalten werden, auf denen beschlossen wird, was das Publikum angeblich sehen will, meistens nur erreicht wird, dass man sich eben auf den kleinsten gemeinsamen Nenner für eine Arbeit einigt. Das ist nicht qualitätsfördernd und unterfordert alle Beteiligten.

Ihr bester Freund Jan-Gregor Kremp ist auch Schauspieler. Welche Rolle spielt der Austausch über Ihren gemeinsamen Beruf zwischen Ihnen?

Natürlich findet der statt, ist aber zum Glück nur ein kleiner Teil, weil ich meinen Beruf zwar irre gerne und mit der mir zur Verfügung stehenden Hingabe ausübe, aber auch immer wieder aus dieser Welt rausmuss. Ich könnte niemals ausschließlich darin leben, hielte das auch für falsch. Ich habe den Anspruch, dass meine Arbeit sich aus dem Leben speist.

Und warum umgeben Sie sich dann privat mit anderen Schauspielern?

Ich kann die ja schlecht wegjagen, oder? Und außerdem ist man als Schauspieler sehr auf die Nachsicht seiner Umgebung angewiesen. Und Kollegen verstehen eben noch am ehesten, dass man sich auch selbst für eine gewisse Zeit verändert, wenn man eine komplizierte Rolle mit sich rumträgt.

Sie radeln gerne stundenlang durch die Stadt – warum?

Ich kann dabei gut nachdenken und Alltag aufnehmen. Meistens fahre ich auch nicht einfach ins Blaue, sondern nehme mir bewusst Ecken der Stadt vor. In Berlin gibt es ja ne Menge zu gucken.

„Es gibt auch Figuren, die man unbedingt spielen will, weil man einfach Lust auf die Klamotten hat. Matti Geschonneck hat mich mal mit dem Versprechen geködert, ich dürfte ein Halskettchen tragen“

Wo waren Sie zuletzt?

In Kreuzberg. Da bin ich oft. Alt-Hippie eben.

Welche Eindrücke sammeln Sie da?

Ihre Frage ist mir schon viel zu zielgerichtet gedacht. Mich interessieren Atmosphären. Also hänge ich beispielsweise eine Weile am Kottbusser Tor rum und gucke, wie sich das für mich anfühlt – das Gefühl interessiert mich, nicht, wie es da genau aussieht oder was die Leute für Klamotten tragen.

Stimmt es eigentlich, dass Sie vor der ersten Begegnung mit Götz George aufgeregt waren?

Ja.

Weshalb?

Weil ich ihn schon immer bewundert habe. Auch wenn er vom Typ her so ganz anders ist als ich, habe ich mich ihm immer nah gefühlt. Der erste Schimanski-„Tatort“ lief in dem Jahr, in dem ich auf die Schauspielschule kam. Ein Film, zu dessen Beginn übrigens ein Fernseher aus dem Fenster fliegt und jemand hinterherruft: „Ich kann diese Scheiße nicht mehr sehen.“ Das war ja auch Programm. Er hat durch diese Rolle wirklich einen neuen Ton, einen neue Spielweise ins deutsche Fernsehen gebracht. Das vergisst man heute oft.

Haben Sie mit ihm auch über berühmte Väter gesprochen?

Ja, wir haben da immer so unsere Witze drüber gemacht. Es ist aber völlig klar, dass Götz die wesentlich schwierigere Konstellation zu bewältigen hat mit diesem Schauspielertitan Heinrich George im Nacken. Da hatte ich es doch leichter. Ich wollte nie Bundeskanzler werden. Wir sind doch nicht in Nordkorea.