Folgt der Sandale!

Die Birkenstocks kommen zurück. Die Tieffußbettsandale der friedensbewegten 80er wird in die Welt der Mode aufgenommen. In London ist die Marke bereits Trend. In Deutschland hadert man noch mit ihrer politischen Vergangenheit

von KATRIN KRUSE

Die Schlangen vor dem winzigen Ladengeschäft „Natural Shoe Store“ im Londoner Covent Garden waren lang. Favorit der Kundschaft war auch dieses Jahr das Modell „Madrid“, schwarz-weiß gepunktet oder mit Blumen bedruckt. Falls „Madrid“ ausverkauft war, griff man auf „Arizona“ zurück oder den Zehensteg „Ramses“. Auf Sandalen, die seit zwei Sommern „a craze“ sind, Schuh der Saison: auf Birkenstocks, von Liebhabern „Birkis“ genannt.

Was Birkenstock Neues erfunden habe, fragte sich die Konkurrenz. Die Antwort lautet ganz einfach: nichts. Das Modell „Madrid“ nämlich ist ein Klassiker; es ist der älteste Schuh im Programm. Im letzten Jahr hat „Madrid“ eine Umsatzsteigerung von 500 % erfahren. Was ist geschehen? Nichts weiter, als dass im Zuge des Achtziger-Jahre-Revivals das Augenmerk auch auf die Birkenstocks fiel. Zunächst begann man im Londoner East End um den Hoxton Square, zu ausgeblichenen Jeansröcken und sorgsam zerschnittenen T-Shirts wahlweise spitze Pumps mit Stulpen zu tragen – oder eben Birkenstocks. Heute wollen alle Birkenstock. Die Gesundheitssandale ist trendy. Lancieren können hätte man das nicht. Es geschieht einer Marke, und wenn es geschieht, dann hat sie Glück gehabt.

Was sich in London derzeit beginnt zu etablieren, ist in den USA schon lange selbstverständlich: das Tragen von Birkenstock-Sandalen in der Öffentlichkeit. In Deutschland hingegen tut man sich mit dem Produkt aus der Heimat ein wenig schwer. Birkenstock, so die Erinnerung, das waren die anderen Achtzigerjahre, das war die Zeit der Friedens- und Ökologiebewegung. Birkenstock, das war eines ihrer Symbole.

Den Anfang grüner Symbolsprache markierte Joschka Fischer, der bei seiner Vereidigung zum hessischen Umweltminister 1985 mit einem Bruch der Kleiderkonvention einen dress down einleitete: Fischer erschien in Jeans und Turnschuhen zum Jacket ohne Krawatte. Damit machte er zugleich deutlich: Grüne Gesinnung manifestiert sich im Erscheinungsbild: in Wohnhosen und selbst gestrickten Pullovern aus reiner Wolle, die die grüne „Strickfraktion“ am Körper trug; am Fuß saß die Sandale.

Frei gespreizt, konnte der Fuß physiologisch korrekt abrollen und atmen. Zwangfrei, der Natur folgend: Birkenstock ermöglichte für den Fuß, was die alternativen Lebensmodelle für den Restkörper garantieren sollten. So verstand das auch Karl Birkenstock, der Ende der Sechzigerjahre die Sandale auf den Markt brachte: An den Füßen der Grünen seien die Schuhe eine „Demonstration der Antigesellschaft“.

Nun hat die Mode der ökologischen Bewegung ihre Symbole abspenstig gemacht. Wer trotzdem ökologisches Bewusstsein kommunizieren will, für den sind jedoch weniger die mehrdeutig schillernden Symbole ein Problem. Eher stellt sich die Frage, was unter diesem Bewusstsein zu verstehen ist. Wie sieht heute ein grüner Lebensentwurf aus, wo Grün keine Bewegung mehr ist, sondern Institution, keine Alternative, sondern Teil der Regierung?

Aus den großen Fragen sind viele kleine geworden, lästig unentschieden. Ist eine Bewegung wirklich nur so gut, wie es ihre Symbole sind? Heute scheint es eher so, dass einzig das Fehlen von Symbolen es einer Bewegung ermöglicht, ihre Sprengkraft zu behalten. Genau das versucht derzeit die Anti-Globalisierungs-Bewegung. Denn Symbole sind flugs in den Prozess kapitalistischer Verwertung überführt. Die Position wird zur Pose.

Was die Marke Birkenstock heute in Deutschland auslöst, ist eine Mischung aus Melancholie und sanfter Beschämung. Melancholie, weil die Positionen so klar waren. Und Beschämung, weil man tatsächlich geglaubt hat, es könnte so einfach bleiben. Birkenstocks, so scheint es, haben in Deutschland ihren zementierten Platz im kollektiven Gedächtnis. „Ich habe auch noch so ein Paar Treter im Keller“, heißt es häufig, wie der Birkenstock-Sprecher Mario Picado zu berichten weiß. Nicht aber: „Ich trage sie gern.“ Dabei würde Herr Picado gerade das am liebsten hören.

In den USA trägt man sie gerne. Dort wird „Gesundheit“ mit Wellness assoziiert, in Deutschland hingegen mit Krankheit. Mit dem „Kampf gegen die Fußschwäche“ jedenfalls hat die Sache Birkenstock angefangen. Dieses Image prägt die Schuhe in Deutschland bis heute, der orthopädische Jargon folgt ihnen bis auf die Website.

Das soll sich ändern. Birkenstock Deutschland will auf den Zug aufspringen, der in London ganz unerwartet losgefahren ist. Etwa mit der Kollektion der bekennenden Birkenstock-Trägerin Heidi Klum. Ungeachtet ihrer Bekanntheit sei das Model ja „natürlich geblieben“, findet Picado. Damit ist Klum einerseits ins traditionelle Birkenstock-Image eingepasst. Zum anderen aber überführt Klum in ihren Entwürfen mit Nieten und Glitzersteinen der Achtziger die Birkenstocks in die Welt der Mode.

Das ist neu. Bisher nämlich stellte Birkenstock lediglich die Form zur Verfügung. Gewiss bemühte man sich bisweilen, auch „modisch“ zu sein, neben den Naturfarben ein strahlendes Gelb anzubieten oder Lack statt Leder. Eine Birkenstocksandale durfte schon einmal ein wenig peppig sein oder frech. Das Modische aber ist nicht die Mode. Sie hat in der Vergangenheit immer unverhofft und plötzlich nach den Sandalen gegriffen. 1989 etwa, als Birkenstocks bei Armani auf den Laufsteg kamen. Oder Mitte der 90er, als mit der Filzkollektion von Prada der Filzclog „Boston“ aus seinem Schattendasein trat.

Nun aber begreift Birkenstock selbst seine Birkenstocks als Mode. „Entspannung nach Anspannung“, so formuliert das Mario Picado, „wir sind nicht für den Catwalk, wir sind für danach.“ Dieses „Danach“ wandert derzeit durch die Illustrierten; Hollywoodstars mit Birkenstocks, beim Shopping, genauer: beim Kaufen von Lebensmitteln. Auch Stars haben einen Alltag, sagen die Bilder. Und in Birkenstocks erholt sich der Celebrityfuß. Es ist eine Entspannung, die die Anspannung mitmeint, ein „Danach“, in dem sein „Davor“ mitschwingt. Die Wohlfühlsandale nämlich weist auf den Stöckelschuh wie leisure auf success. Ob die Birkenstocks künftig auch in Deutschland ihre neue Sprache sprechen, wird sich zeigen. Sicher jedenfalls ist eines: Als Hipness-Produkt akzeptieren wird man Birkenstock, wenn überhaupt, nur als Reimport.