Borkengeheimnis

Tschüs, Zimtstern! Ciao, Milchreis! Adieu, Bratapfel! Die Zukunft für den Zimmet heißt: Fleisch, Tomaten und Salat

von SYLVIA MEISE

Augen zu, Nase tief ins Zimtglas und einatmen – ein warmer, zart-feuriger Duft, der Europäersinne in Rausch versetzen kann. Spätestens nach der zweiten Prise entrollen sich purpurne Stoffe, Räucherstäbchenkringel sinken herab, und orientalische Märchenerzähler murmeln etwas vom Paradies. Bei Zimt denkt man sofort an Weihnachtsbäckerei und Apfelkuchen. Zimt und Zucker gehören hierzulande so sehr zusammen, dass man garantiert einen Hinschmecker erreicht, wenn’s zum Nikolaus statt Zimtsternen griechisches Rinder-Stifado oder marokkanische Kefte mit gezimteter Tomatensauce gibt.

Zimt war vor zweihundert Jahren noch echter Luxus. Wer Zimt hatte, war stinkreich. Wobei ursprünglich nur die chinesische Sorte – Kassia – auf geheimnisvollen Wegen nach Europa kam. Sie gehört zu den ältesten Gewürzen, die viel mit Abenteurerei, Geld und Macht zu tun haben. Noch gegen Ende des 15. Jahrhunderts gab es Zimtstangen nur bei arabischen Händlern gegen vier bis fünf Eunuchen.

Und heute? Zimt in jeder Küche, gar Zimtzucker grießbreifertig gemischt im Supermarkt für läppische paar Euro. Aber wer kennt noch Kassia? Die Frankfurter Gewürzverkäuferin, die mit vorwurfsvoller Stimme von „Billigzimt“ spricht, jedenfalls nicht. Doppelt dumm von ihr, denn erstens hat sie eine treue Kundin verloren, zweitens was verpasst. Kassia ist zwar wirklich die billigere Variante, weil ihre Würzkraft nicht so feurig ist wie die des ceylonesischen Lorbeergewächses mit dem samtenen Stamm. Aber die Borke unter den Zimten hat ihre eigenen Reize, sie nämlich ist sozusagen die salzige Schwester.

Für sie bricht Andrée Köthe, Würzmeister und Patron im Nürnberger Restaurant „Essigbrätlein“ lyrische Lanzen. Nicht so blumig wie der andere, eher cremig düftelt der Kassiazimt. Köthe berichtet vom Baumrindenton der Mayonnaise, die sein Chefkoch mit angebratener Kassiarinde herstellt. Angebraten?

Die Gewürzfrauen in meiner Kleinmarkthalle winken ab: Nie gehört. Doch das Internet weiß: Inder braten die Zimtstangen so lange, bis sie sich entrollen, damit sich das Aroma besser entfaltet – klingt logisch, ist aber Blödsinn. Ein 3sat-Fernsehkoch hat’s abgekupfert und empfohlen, aber wohl selbst nie ausprobiert. Denn: Zimtstangen entrollen, das schaffen nicht mal Greencard-Inder. Zimtstangen sind abgeschälte Rindenblätter, die fermentiert und getrocknet werden. Dabei werden mehrere Blätter ineinander geschoben (je dünner, desto feiner die Qualität). Dabei rollen sie sich zusammen. Eine Molekülstruktur, die sich weder in heißem Wasser noch in Fett rückgängig machen lässt. Deutschsprachiger Ursprung der Entroll-Ente ist übrigens die sonst so fundgrubige Würzseite von Gernot Kratzer – www-ang.kfunigraz .ac.at.

Wie auch immer: Um den köstlichen Würzduft in der Küche zu haben, kann man beide Kaneelschwestern in die Pfanne hauen. Unterschiede gibt’s sowohl bei der Pflanze als auch bei der Erntetechnik. In den Zimtgärten von Ceylon und Malaysia werden die Bäume schonend abgeerntet – man schneidet regelmäßig Schößlinge ab wie bei der Kopfweidenkultur. Für die chinesische „Cassia vera“ hingegen werden ausgewachsene vierjährige Bäume geschlagen und wird die bei diesem Baum dickere Innenrinde abgeschält.

Mit Zimt würzen heißt reisen. Zimtrezepte, die nichts mit Milchreis zu tun haben, stammen aus Südasien, wo der Zimt noch immer herkommt, da er sich bis heute nicht von Holländern im Gewächshaus mit Steinwolle domestizieren lässt. Was Wunder, dass die südasiatische Küche den Caneel (von canella: Kanüle, Röhrchen) in Lamm oder Hühnercurrys verwendet. Kostprobe: asiatischer Butternusskürbis. In Butter und Kassia angeschmorte Kürbis- und Paprikawürfel mit angebratenem Huhn, Kokosmilch, roter, milder Currypaste zehn Minuten köcheln lassen, Schalotten, Ingwer und – schnell einen Abstecher über Marokko – ein bisschen von der Gewürzmischung „Ras al Hanout“ (mit Zimt drin!) rein, fertig ist das Geschmacksknospenfest.

Den „Ceylonski Cimet“, wie die Kroaten sagen, verdanken wir indonesischen Händlern. Das müssen wahre Himmelhunde gewesen sein, die ihre seetüchtigen Auslegerkanus mit Zimtrinde, -holz und -blüten beluden. Die Monsunwinde nutzend, fuhren sie quer über den Indischen Ozean, um schließlich nur mit ihrer Arme und Neptuns Kraft zu Tode erschöpft Madagaskar zu erreichen. In Afrika führte die Zimtroute weiter über Somalia bis in den Jemen.

Zimthandel war ein Supergeschäft für die Araber. Sie sicherten sich das Monopol, indem sie Märchen über die geheimnisvolle Herkunft des Gewürzes erzählten. Dass es am Boden eines Sees wüchse oder in den Sümpfen des Sudan. Sie sollen auch erzählt haben, die braunroten Stangen kämen von den „Zimtvögeln“.

Um diese zu gewinnen, müsste man ihre Nester abschießen. Mit blutigen Zimtkriegen versuchten später Portugiesen und Holländer, sich eine Scheibe Zimtkuchen zu sichern. Die Ernten wurden wechselseitig vernichtet, um die Preise hoch zu halten. Eine mitreißende Rekonstruktion der legendären „Cinnamon Route“ gibt’s beim kanadischen Royal Ontario Museum (www.rom.on.ca).

Wie die Stängelchen von China nach Mexiko gekommen sind? Keine Ahnung, jedenfalls gehören in das traditionelle mexikanische „Birria“ außer Fleisch, das stundenlang schmort, noch Knoblauch, Tomaten, Oregano, Nelken und Zimt. Mit einer marokkanischen „B’stila“ mit Huhn schießt man aber jedes Zimtvogelnest ab. Jüngere Familienmitglieder werden sich mit Grauen ans nächste Mäc-Restaurant wenden, würzfeuersüchtige Gäste dafür aber die Teller lecken.

Man braucht hauchfeinen „Warka“-Teig, den Marokkanerinnen stundenlang walzen, bis sie zwiebelblattdünne Teigblätter haben. Als Ersatz am besten beim Griechen Filoteig kaufen. Jetzt zwischen die Blätter abwechselnd zwei verschiedene Füllungen schichten. Die eine: aus vorher mit Zwiebel, Safran, Kurkuma, Ingwer und Zimt gekochtem und zerpflücktem Hühnerfleisch.

Die zweite: eine Mischung aus gehackten Mandeln, Puderzucker und gemahlenem Zimt. Mit Blättern bedecken und das ganze 20 Minuten goldgelb im Ofen ausbacken und sofort nach dem Rausnehmen mit Puderzucker und – natürlich! – mit Zimt bestreuen.

Wer jetzt noch nicht genug Zimt auf dem Tisch hat, stellt einen fruchtigen Salat dazu. Dafür einige Datteln fein würfeln, Orangenschnitze aus den Häuten friemeln, beides zimten, wegstellen. Dann die Herzen zweier Romanasalate fein streifig schneiden, die Orangen- und Dattelstücke und eine Soße aus Orangensaft und halber Zitrone drüber sowie Pfeffer und Salz.

Ach, und übrigens: Zimt ist nix für Bakterien. Die sterben ab. Wussten schon die Ägypter und schützten sich vor Kolibakterien im Wasser mit Kassiarinde. Medizin und Essen ist für die Chinesen, wo vor 4.500 Jahren Kassia zum ersten Mal erwähnt wurde, eh ein und dasselbe, womit sich der Zimtkreis schließt.

SYLVIA MEISE, 42, lebt als freie Journalistin in Frankfurt am Main und rangelt mit Fotograf Pat Meise täglich um die Poleposition an der Bratpfanne