„In erster Linie Schauspieler“

Wie verändert der Erfolg? „Schau mich an“ gibt wunderbar spitze Antworten auf diese Frage. Ein Gespräch mit der Regisseurin, Darstellerin und Drehbuchautorin Agnès Jaoui über die Liebe zur Musik und über Frauen, die eben nicht wie Models aussehen

INTERVIEW KIRA TASZMAN

taz: Frau Jaoui, warum schreiben Sie mit Ihrem Arbeits- und Lebenspartner Jean-Pierre Bacri stets Ensemblefilme? Wollen Sie sich eine Art von Kunstfamilie schaffen, oder schätzen Sie einfach die Teamarbeit?

Agnès Jaoui: Zunächst einmal arbeite ich gern im Team. Jean-Pierre und ich kommen vom Theater. Unser erster Film „Cuisine et dépendances“ war zuerst ein Theaterstück. Wir haben es geschrieben, weil wir in erster Linie Schauspieler sind und wissen, wie unangenehm es ist, zwei Stunden hinter den Kulissen zu warten, um dann fünf Minuten auf der Bühne sein zu können. Also wollten wir gleich lange Rollen für alle schreiben. Das bietet sich für das Kino sogar noch mehr an. Wir wollen auch heute noch in unseren Filmen mitspielen, haben aber überhaupt keine Lust, uns Filme mit zwei Hauptrollen zu schreiben. Also schreiben wir fünf oder sechs Hauptrollen, weil die Geschichte es erfordert.

Wie sieht denn Ihre Zusammenarbeit mit Jean-Pierre Bacri konkret aus, wenn Sie Drehbücher schreiben?

Ganz konkret: Von 15 bis 19 Uhr, jeder hat sein Heft, seinen Stift, und dann diskutieren wir.

Wer hat welche Prioritäten? Es heißt, dass er schlagfertiger sei.

Ja, mehr als ich, aber ich habe Fortschritte gemacht. Wir schreiben die Dialoge zusammen und spielen sie uns dann natürlich vor. Aber das kommt später. Die erste Schwierigkeit besteht darin, ein gemeinsames Thema zu finden. Und die Figuren. Wir versuchen immer, uns gegenseitig zu überzeugen.

Kann sich das mitten in der Arbeit noch ändern?

Ja. Unser vorangegangener Film „Lust auf Anderes“ war ursprünglich als Krimi geplant. Zwei Monate lang haben wir einen Krimi geschrieben und dann nach einer Weile festgestellt, dass wir ganz unerträgliche Klischees dort hineingeschrieben hatten. Also haben wir uns etwas ganz anderes ausgedacht, aber einige Figuren wie der Leibwächter oder die Sache mit dem privaten Drogenhandel sind geblieben.

War denn bei „Schau mich an“ von Anfang an klar, dass der Film im Verlagsmilieu spielen würde?

Nein. Die Hauptfigur war sehr lange Architekt. Aber es sollte von Anfang an um Macht gehen, und es war klar, dass er eine junge Frau haben sollte, die so alt war wie seine Tochter.

Wie verlaufen die Dreharbeiten mit Jean-Pierre Bacri? Ist er ein Schauspieler wie andere auch?

Ich kenne ihn natürlich besser als andere Schauspieler. Aber wenn ich Regie führe, halten wir uns an ganz präzise Regeln. Er darf nicht vergessen, dass ich Regisseurin bin, und muss deshalb etwas diskreter sein. Ich muss aufpassen, dass ich ihn wie die anderen Schauspieler behandele und ihm genauso Mut zuspreche und ihn beruhige.

Lolita, die Hauptfigur, ist dick und hat deswegen Komplexe. Haben Sie diese Figur in den Vordergrund gestellt, um gegen gängige Schönheitsideale anzugehen?

Ich bin es satt, immer dieselben Frauentypen zu sehen. Nehmen wir zwei amerikanische Fernsehserien, die beide gut gemacht sind. Bei den „Sopranos“ gibt es physisch unterschiedliche Männer- und Frauentypen. In „NYPD Blues“ dagegen, die auf einem Polizeirevier spielt, sehen zwar die Männer unterschiedlich aus, die Frauen dagegen alle wie Models. Für mich schmälert das die Glaubwürdigkeit der Serie. Genau wie bei der Verfilmung von Philip Roths „Der menschliche Makel“: Obwohl Nicole Kidman eine sehr gute Schauspielerin ist, glaube ich keine Sekunde, dass sie diese Putzfrau ist. Das funktioniert einfach nicht. Man bräuchte jemanden mit einem normaleren Aussehen. An einem Regisseur wie Rohmer habe ich dagegen immer sehr gemocht, dass er auch Frauen in den Vordergrund stellt, nach denen ich mich auf der Straße nie umgedreht hätte. Am Ende des Films liebt man sie und entdeckt eine Schönheit in ihnen. Das ist ein wenig die Rolle des Künstlers, Dinge zu zeigen, die man sonst nicht sehen würde.

Die Figur des jungen Schriftstellers Pierre kann man sich als eine Art jungen Etienne Cassard vorstellen, den arroganten Erfolgsschriftsteller und Verleger, den Jean-Pierre Bacri darstellt. Kann man es überhaupt vermeiden, sich vom Erfolg korrumpieren zu lassen?

Zum Glück gibt es Leute, die das können. Allerdings weiß man nie, wie Menschen vom Erfolg beeinflusst werden. Ich übe meinen Beruf seit langem aus und beobachte die Entwicklung von Leuten, die vom Erfolg überrascht werden. Das wollten wir im Film auch ausdrücken: Solange man keinen Erfolg, kein Geld oder keine Macht hat, weiß man nicht, wie man sich in dem Moment, da man sie hat, verhalten wird. Ich habe Menschen gesehen, die sehr schöne Ideale hatten, bevor sie Geld und Macht hatten. Danach gehörten sie nicht immer zu denen, die sich am besten verhalten haben.

Musik spielt immer eine wichtige Rolle in Ihren Filmen, sei es in „Lust auf Anderes“, in Alain Resnais' „Das Leben ist ein Chanson“, für den Sie mit Jean-Pierre Bacri das Drehbuch schrieben, oder jetzt in „Schau mich an“, wo Lolita Sängerin werden will und Sie selbst eine Gesangslehrerin spielen.

Ich selbst habe wie Lolita Gesangsunterricht genommen. Musik ist für mich eine unerschöpfliche Quelle von Freude, Vergnügen und Arbeit. Vor allem glaube ich aber, dass das Schreiben, das Schauspiel und die Regie eines gemein haben: ein gewisses Rhythmusgefühl. Es ist kein Zufall, dass alle großen Komiker auch Musiker sind: Chaplin, Woody Allen, Louis de Funès oder andere. Das Gefühl für den richtigen Rhythmus macht den Unterschied aus.