Die Bilder, der Tod und die Hoffnung

Eine Kölner Ausstellung zeugt von der Notwendigkeit, Bilder gegen den Schrecken zu erfinden: HIV und Aids im Spiegel der afrikanischen Kunst

VON MAGDALENA KRÖNER

Die aktuell veröffentlichten Zahlen des Antiaidsprogramms der Vereinten Nationen und der WHO sind Furcht einflößend: Täglich sterben 8.400 Menschen an Aids, 40 Millionen Menschen weltweit sind mit dem HI-Virus infiziert; die Neuansteckungsrate liegt bei knapp 5 Millionen Menschen allein in diesem Jahr. Doch wenn etwas bedrohlich ist, grenzenlos gefährlich und anscheinend unbeherrschbar, dann brauchen wir etwas anderes als anonyme Zahlen. Wir suchen nach Bildern, die den Schrecken bannen, Bilder, die Vertrauen schaffen, wo sich schleichend Panik breit macht. Bilder, die aufklären, die aufrütteln, die aber auch Solidarität ausdrücken. Bilder, die vielleicht sogar trösten.

Diese Suche führt mittlerweile zu ganz ungeahnten Bildproduktionen: In diesem Jahr wurde erstmals eine „Miss HIV“ gewählt – Kgalalelo Ntsepe aus Botswana; es gibt – ab heute – im südafrikanischen Fernsehen die Comicserie „Die drei Amigos“ um die Kondomkumpels „Stretch“, „Dick“ und „Shaft“, die für Aufklärung sorgen. Im chinesischen Fernsehen gibt es neuerdings einen Spot, in dem ein schwules chinesisches Paar um Verständnis für HIV-Positive wirbt – früher undenkbar.

Bilder, die die Kunst zum Thema erfand, versammelt jetzt eine sehenswerte Kölner Ausstellung: „Sexualität und Tod. Aids in der zeitgenössischen afrikanischen Kunst“ präsentiert 20 künstlerische Positionen aus Afrika, diesem riesigen Kontinent, der von der Krankheit in einem Maß betroffen ist wie kein anderer: 25 Millionen Menschen sind hier infiziert, in Südafrika 20 Prozent der Bevölkerung.

Die von Tropenmediziner Kay Schaefer kuratierte Ausstellung zeigt „Altmeister“ wie Cheri Samba oder Twins Seven-Seven, aber auch jüngere Künstler wie documenta-Teilnehmer Pascale Martine Thayou oder Ingrid Mwangi. Neben Arbeiten international bekannter Künstler wie Rotimi Fani-Kayodé oder Sue Williamson sind Werke afrikanischer Künstler zu sehen, die eher der Volkskunst nahe stehen. Eingangs leuchtet Cheri Sambas wunderbar farbige Arbeit „Marche de soutien a la campagne sur le SIDA“ wie ein Fanal. Der kongolesische Schildermaler zeigt den Marsch fröhlich-entschlossener, aber insgeheim doch zweifelnder Aidsaktivisten, von denen jeder vor sich hin grübelt – „Pariser? Wie soll man da Kinder bekommen? Die Frau da Lust verspüren?“, mault eine, ein anderer sagt sich: „Aids ist die Strafe Gottes, aber nicht für uns. Immer Vertrauen“, ein Dritter denkt: „Aids ist nicht im Gemüse.“

Ammenmärchen und Vorurteile thematisiert auch Cheik Ledy, der 1997 an Aids gestorbene Bruder Sambas, in seinem Bild „Die Aids-Quelle“, auf dem ein paar Leute versuchen, den tödlichen Strom des aidsverseuchten Wassers abzuwenden. Neben derart eindringlichen Dokumenten der weit verbreiteten Unwissenheit gibt es auch die kritische Reflexion von Sextourismus und Prostitution. Richard Onyango aus Kenia, der selbst als „Toy Boy“ arbeitete, zeigt sich beim Sex mit einer europäischen Frau, während Bodo, Priester und Maler aus Kinshasa, „La Prostitution“ einer verführerischen Sirene gleich darstellt.

Im Bereich der Volkskunst beherrschen Tiersymbole die Reflexion über Aids. Spielerisch greifen die Künstler traditionelle Embleme und Formen der Stammeskunst auf. Zephania Tshuma präsentiert die Lust als hölzernen Totem, auf dessen grotesk vergrößertem Penis Männlein und Weiblein wie auf einer Hühnerstange sitzen. Er stellt Aids als Wurm dar, den seine Figuren gegenseitig in ihren Körperöffnungen suchen.

Im Schritt zu den Werken von Video- und Fotokünstlern, die längst erfolgreicher Teil des westlichen Kunstkarussells sind, mutet die Ausstellung ihren Besuchern einen gehörigen, aber produktiven Bruch zu: In der Gleichordnung der Kunstproduktion derart unterschiedlicher Kontexte gelingt es, die Virulenz des Themas durch alle künstlerischen Provenienzen Afrikas hinweg sichtbar zu machen. So tritt man einigermaßen unvorbereitet in Ingrid Mwangis dunkles Videokabinett, in dem sie sich bei erotischen Begegnungen mit verschiedenen Männern zeigt. „Censored Room“ eröffnet eine ganze Reihe von Überlegungen: Darf eine Frau das? Darf sie es, weil sie schwarz ist? Und was passiert hier wirklich, in diesen eher verkrampften als leidenschaftlichen Umarmungen?

Auch die kühlen, hoch glänzenden Fotodiptychen der Grande Dame der südafrikanischen Widerstandskunst und wichtigen Mentorin der jungen Szene des Landes, Sue Williamson, wirken wie aus einer anderen Welt – aber auch einer, in der Aids nach wie vor ein Thema ist, das auf Hautfarbe keine Rücksicht nimmt. Williamson stellt die Porträts HIV- und aidskranker Menschen neben deren Aussagen, die sie emblematisch in den öffentlichen Raum transportiert hat – eine große, auf manchen vielleicht übertrieben pathetisch wirkende Geste. Doch sie stellt einen weiteren legitimen Versuch dar, der Krankheit ein Gesicht zu geben.

Die Ausstellung wirft exemplarische Schlaglichter und verzichtet auf ethnografisch motivierte Hierarchisierungen. Dies erfordert vom Besucher einige Arbeit, will er den Gehalt einzelner, gerade von einem westlichen Kunstkontext eher entfernter Arbeiten erfassen.

Solange es Bilder gibt, die möglichst viele Menschen erreichen, wird Aids fassbar und nicht zur gesichtslosen „Seuche“, nicht zum Fluch, der denjenigen, den er trifft, aus der Gemeinschaft der anderen verbannt. Dies gilt besonders für Afrika. Es gilt aber auch für uns, die wir die gelungene und wichtige Kölner Ausstellung anschauen, um danach hinaus in die gemütliche rheinische Kälte zu treten, und auf dem Weihnachtsmarkt, nach dem ersten Glühwein, aus lauter Solidarität vielleicht eine rote Schleife fürs Revers erstehen.

Bis 25. Januar, Rautenstrauch-Joest-Museum, Katalog 12,50 €