Wunderbare Welt

Lehrer und Migranteneltern diskutieren über bessere Zusammenarbeit und Senator Lemke hält für jedes Problem eine allzu simple Lösung parat

Am Abend war die Welt dann wieder wunderbar. Da sprach Bildungssenator Willi Lemke (SPD) und hatte zu allem einen Einfall. Wie man zum Beispiel die Lernbedingungen von Migrantenkindern verbessern kann: „Dass die Kinder geweckt werden, dass sie Pausenbrot mitbekommen und dass sie ihre Hausaufgaben machen – dafür müssen Sie sorgen!“ richtete Lemke das Wort an die Eltern. Oder für das Problem mit den Schulschwänzern: „Wenn ich könnte, würde ich allen Eltern, die nicht dafür sorgen, dass ihre Kinder zur Schule gehen, sofort das Kindergeld sperren!“ rief er dahin über die Köpfe der Zuhörer. „Ich glaube, ich muss rausgehen“, ächzte eine Erzieherin.

Denn man war schon mal weiter gewesen an diesem Tag. Lehrer, Eltern und Erzieher hatten sich am Donnerstag in der Evangelischen Friedensgemeinde im Viertel getroffen, um über die Zusammenarbeit zwischen Schule und Migranteneltern zu sprechen. 26 Prozent aller Kinder und Jugendlichen im Land Bremen kommen aus Einwandererfamilien, viele von ihnen machen einen niedrigen Bildungsabschluss, manche gar keinen. Um die Bildungschancen der Kinder zu verbessern, bedürfe es einer engen Kooperation zwischen Schule und Eltern. Aber genau hieran hapere es häufig, meint der Migrantinnenrat und lud zu der Tagung „Ohne Eltern geht es nicht“ – rund 160 Teilnehmer kamen.

Vorurteile – so stellte man in den verschiedenen Arbeitsgruppen fest – gibt es auf beiden Seiten: „Einige Migranten klagen, die Lehrer seien überheblich, sie fragten nicht nach den Lebensumständen, aber wüssten stets eine Lösung für das Kind“, fasste Nevin Lutz die Ergebnisse der AG zusammen, in der Eltern ihre Sorgen mit der Schule äußern konnten. Nevin Lutz arbeitet in der Beratungsstelle für schulische Förderung von Migrantenkindern im Bildungsressort. Lehrer hingegen kritisierten, dass manche Eltern wenig Interesse an der Schule hätten, nicht zu Elternabenden kämen und Toleranz forderten, wo es keine geben müsse, beispielsweise wenn der Sohn sich machohaft gegenüber Lehrerinnen verhält, so Lutz.

Mehr Gespräche miteinander, weniger Angst voreinander, das wünschten sich alle Teilnehmerinnen der Tagung – um Vorurteile abzubauen und Klischees zu vermeiden. Doch schlichte Lösungen für eine bessere Kommunikation gebe es nicht, sagt Nevin Lutz. Viele Eltern seien hilflos und verunsichert: durch die Trauer über den Verlust der Heimat, durch die Angst, die neue Sprache nicht ausreichend zu beherrschen, durch die Unkenntnis, wie das deutsche Schulsystem funktioniert, was von ihnen erwartet wird. „Es ist ein Klischee, dass Eltern sich nicht interessieren“, so Lutz. Um Ängste abzubauen, gibt es unterschiedliche Elternkurse in Bremen: „Rucksack“ heißt einer vom Deutschen Roten Kreuz, in dem Eltern lernen können, ihre Kinder in den schulischen Anforderungen zu unterstützen, „Mama lernt Deutsch“ ein anderer vom Paritätischen Bildungswerk.

„Wir brauchen Fortbildungen“, sagten auch die Lehrer. Um zu verstehen, aus welcher Lebenswelt das Kind stammt. Um zu lernen, wie man die migrantischen Eltern in den Schulalltag einbinden kann – durch Vorleseabende in verschiedenen Sprachen, durch Mitgestaltung der so „deutschen“ Schulräume. Und manchmal auch durch getrennte Elternabende für Migranteneltern. „Das ist doch klar, wenn ich auf so einen deutschen Elternabend komme, dass ich da unsicher bin“, so eine Lehrerin aus Huchting. Fazit: Viel zu lernen für alle Seiten.

Bitte keine getrennten Elternabende, man wolle doch versöhnen, nicht spalten, befand hingegen am Ende des Tages Bildungssenator Lemke. Und drückte sein Bedauern aus, dass in Bremen der Zusammenhang zwischen der niedrigen sozialen Schicht der Eltern und dem späteren Bildungsabschluss der Kinder so deutlich sei. „Warum denn niedrige Bildungsschicht?“, seufzte eine Lehrerin – „wir sprechen doch über Migranten – das sind zwar manchmal die gleichen Phänomene wie bei Kindern aus sozial schwachen Familien, aber meist andere Ursachen.“ Packte ihre Sachen und verließ die Tagung, während Lemke weiterredete – inzwischen angekommen beim Kopftuch als religiösem Symbol. Dorothea Siegle