Die Montagspartei bleibt mit sich allein

Auch ein Trupp ehemaliger Montagsdemonstranten will in die Politik: „Wir haben uns selbst die Basis genommen“

GLINDENBERG taz ■ Es soll alles möglichst offiziell sein bei der ersten Versammlung der Partei „Freie Bürger für Soziale Gerechtigkeit“ (FBSG). Vielleicht redet Hartmut Wehner deshalb durch ein Mikrofon. „Wie wollen wir uns anreden?“, fragt der frisch gewählte FBSG-Pressesprecher. Vor ihm sitzen 18 Parteimitglieder an einem langen Tisch mit rosa Tischdecke und gucken ernst. Die Männer tragen bunte Krawatten. Der Festsaal des Gasthauses Retter im winzigen Dorf Glindenberg bei Magdeburg dient wohl sonst als Veranstaltungsort für Goldene Hochzeiten. Jetzt einigen sich hier die Magdeburger Montagsdemonstranten gerade darauf, sich gegenseitig „Parteifreund“ zu nennen. Das Kofferradio in der Ecke säuselt Volkstümliches des MDR.

„Aufbruch zur wahren Demokratie und sozialen Gerechtigkeit“ steht auf einem Plakat, das über die Bühne gespannt ist. Andreas Ehrholdt klatscht. Er hat die FBSG Ende Oktober gegründet und heißt jetzt „Bundesvorsitzender“. 127 Mitglieder hat die Partei bisher, vor allem Magdeburger. Am 27. November soll auch ein Landesverband in Nordrhein-Westfalen gegründet werden. „Damit wir im Mai dort schon zu den Wahlen antreten können“, sagt Ehrholdt stolz. Der 43-Jährige war in diesem Sommer zum Symbol für die Montagsdemonstrationen gegen die Arbeitsmarktreformen geworden: Ehrholdt hat die Montagsdemos in Magdeburg ins Leben gerufen, von hier aus haben sie sich ausgebreitet.

Inzwischen ist der Protest beinahe völlig eingeschlafen. So ist es überall in Deutschland, doch Andreas Ehrholdt schmerzt es besonders. Nur noch wenige hundert Menschen versammeln sich an Montagabenden, um gegen Hartz IV zu demonstrieren. 15.000 sind es einmal gewesen, und Gysi kam als Redner. Ehrholdt gab Interviews und wurde in Talkshows eingeladen.

Doch seit die bundesweite Demonstration in Berlin kein Erfolg war, ist das vorbei. Vielleicht will er deswegen in die Politik gehen. Ehrholdt möchte wieder ernst genommen werden, so wie die Demos bis zum Spätsommer ernst genommen wurden.

„Die Montagsdemos werden jetzt belächelt“, sagt er nach der Parteiversammlung. Es gehe daher darum, die Forderungen, die aus den Montagsdemos hervorgingen, in die Politik zu tragen. „Wir haben uns selbst die Basis genommen, die Demos zerredet“, gibt Ehrholdt zu. Er meint damit wohl vor allem den Versuch, die Demonstrationen bundesweit zu organisieren. Bei den Treffen der Organisatoren in Berlin, Leipzig und Magdeburg kam immer wieder zum Vorschein, dass die Montagsdemonstrationen außer der Ablehnung von Hartz IV nicht viel gemein haben. Ehrholdts Stellvertreter in der FBSG, Michael Gatzke, ist deswegen kurz vor der Parteiversammlung aus dem Organisationsteam ausgetreten. „Das hat zu nichts geführt“, sagt er. Es habe zu viele „unterschiedliche Strömungen“ gegeben.

Die FBSG-Mitglieder sind da unkomplizierter, allerdings auch unkonkret. „Wir sind keine Rechten, keine Linken, wir sind die Mitte“, sagt Ehrholdt. Einstimmig haben sie das ebenfalls sehr wolkig verfasste Grundsatzprogramm verabschiedet. Auf vier großzügig bedruckten Seiten äußern sich die Parteiköpfe zu den Themen: Familie, Jugend, Senioren, soziale Sicherheit, soziale Marktwirtschaft, Solidarität, Gesundheit, Steuerrecht, Staat und Politik, Beamte und Haftung. In fünf Arbeitsgruppen soll nun über Details geredet werden. „Gesundheit ist ein Stück Lebensglück, das bezahlbar bleiben muss“, heißt es im Programm zum Beispiel. Die „Überproduktionen“ der Wirtschaft sollen an Entwicklungsländer geschickt werden, aus Solidarität.

Nach drei Stunden ist die erste Parteiversammlung der FBSG beendet. Alle Tagesordnungspunkte sind abgehakt und die „Parteifreunde“ sind zufrieden.

Ehrholdt hat bei den Montagsdemonstrationen stets darauf bestanden, dass die Proteste nicht von Parteien und Gewerkschaften vereinnahmt werden dürften. „Ich habe lang mit mir gerungen, ob ich eine Partei gründen soll“, kokettiert Ehrholdt. Doch jetzt, wo die Demos zumindest vorerst am Ende sind, sieht er wohl nur mit der Gründung seiner eigenen Partei eine Chance. „Wir haben als Bürgerprotest angefangen, nun sind wir eben eine Bürgerpartei“, sagt er. Trotzdem sollen die Parteiarbeit und die Demo strikt voneinander getrennt werden. „Wir werden uns da präsentieren wie jede andere Partei auch.“ Neue Mitglieder kämen dann ganz automatisch. 2006 will Ehrholdt mit der FBGS für die Bundestagswahl antreten. Bis dahin sagt er nichts ohne seinen neuen Pressesprecher Wehner. Denn jetzt soll alles offiziell sein. SASCHA TEGTMEIER