Das Geheimnis arabischer Worte

Ihsan G. soll versucht haben, in Berlin eine Al-Qaida-Zelle aufzubauen. Seit Mai steht der Tunesier daher vor dem Kammergericht. Es gibt zahlreiche Beweise – und heftigen Streit um ihre Bedeutung

von Mareke Aden

Arabisch ist eine schöne Sprache. Zumindest das steht fest, wenn man den Prozess gegen Ihsan G. einige Wochen beobachtet. Ihsan G. kommt aus Tunesien und soll in Berlin versucht haben, eine terroristische Vereinigung zu gründen, genauer: eine Zelle von al-Qaida. Ihsan G. soll ein Schläfer gewesen sein.

Doch alles, was an den letzten Verhandlungstagen darauf deuten konnte, dass die Bundesanwältin Silke Ritzert mit ihrer Anklage Recht hat, kommt auf Umwegen in den Prozess. Es werden Vermerke verlesen, die Leute gemacht haben, die mit Leuten gesprochen haben, die mit Ihsan G. gesprochen haben. Außerdem gibt es die Ergebnisse der Telefonüberwachung, die nach Verfänglichkeit sortiert auf CD-Rom gepresst. Es ist eine „Best of Beweiskraft“-CD, die an die „Verfahrensbeteiligten“ verteilt wird: an alle vier Richter, die beiden Verteidiger und die Frau von der Bundesanwaltschaft.

Damit es hinterher keinen Ärger gibt, fragt der Vorsitzende Richter, ob die Verteidigung jedes abgehörte Wort haben möchte – nicht nur die Highlights – da lacht Rechtsanwalt Michael Rosenthal und sagt: „Es ist zwar eine schöne Sprache, aber nein.“ So viele Stunden Gespräche auf Arabisch werde er sich trotzdem nicht anhören.

Bis das arabisch gesprochene Wort des Ihsan G. ihn im Gerichtssaal überführen kann, muss es also viele kleine Hürden nehmen, es wird von Verbindungsleuten vorgetragen, niedergeschrieben, aufgenommen, übersetzt, sortiert, elektronisch gespeichert. Sehr wahrscheinlich liegt es daran, dass schon mehrmals berichtet wurde, der Kammer sei die Beweislage zu dünn. Man kann sich das nämlich kaum vorstellen, wenn man dem Hin und Her im Gerichtssaal eine Weile folgt.

Man erfährt dann schnell, für was Ihsan G. sich interessiert hat, und das dürfte an seinen bösen Absichten doch eigentlich wenig Zweifel lassen: Aus dem Internet hat er sich Schaltpläne heruntergeladen. Über die Zusammensetzungen Salpetersäure, Schwefelsäure und Stickstoff hat er sich informiert und über diverse Düngemittel. Rechnungen war zu entnehmen, dass er einen „Candiman“ gekauft hat, ein Gerät zum Flambieren, einen „Kilometermann“, mit dem man Geschwindigkeit und Entfernung messen kann, und einen „Kameradetektor“, der es ermöglicht, nachts zu filmen.

Er hat sich in Tunesien, Südafrika, Pakistan, Afghanistan und Deutschland aufgehalten, was den Flugtickets, den Visaanträgen, den Rechnungen und der Telefonüberwachung zu entnehmen ist. In Berlin hat er die Al-Nur Moschee besucht und dort für seine Ziele geworben, laut Staatsanwaltschaft für die Begehung von Sprengstoffanschlägen. Er hatte mehrere Konten und viel Geld. Ja, was denn noch?

Zum Beispiel der Beweis, dass er nicht einfach nur so im Ausland war. Es gibt zwar die pakistanische Telefonnummer, von der aus Ihsan G. in Deutschland angerufen hat. Aber war der Anschluss für eine Moschee ausgegeben oder das Büro einer islamistischen Kaschmir-Befreiungsorganisation? Für Letzteres spricht der Vermerk eines Polizisten, der den Angeklagten beobachtet hat. Aber die Rechtsanwältin Margarete von Galen hat offenbar Hinweise, dass das nicht stimmt und beantragt eine Anfrage bei der pakistanischen Telefongesellschaft.

Und möglicherweise begeistert sich Ihsan G. für Technik. Gibt es nicht auch deutsche Christen, die sich für bestimmte Schaltpläne interessieren? Einen Kameradetektor zu kaufen, ist auch nicht verboten, wozu er ihn erwarb, braucht er nicht zu sagen, macht er auch nicht. „Nein, er will sich nicht äußern“, sagt die Anwältin, nachdem sie kurz mit ihm getuschelt hat.

Und was seine Propaganda in der Berliner Moschee angeht, befragen die Richter Muhiddin El-Khadra, ein Sachverständiger für die arabische Sprache. Kann man mit den Worten „nua faka“ ein Verbrechen billigen? Der Sprachgelehrte sagt: „Wenn mein Sohn mich fragt, ob er diese wilden Autofahrten in Brandenburg mitmachen darf und ich sage ‚nua faka‘, dann billige ich vielleicht eine Straftat.“ Aber eigentlich heiße es: „Alles Gute, egal wofür du dich entscheidest.“

Das arabische Wort „amlija“ kann Prozess, Operation und Arbeitsgang bedeuten und je nach Adjektiv davor auch: Kaiserschnitt, Erziehung, Wachstum. „Militärische Operationen können also nicht gemeint sein?“, wollen die Richter wissen, und El-Khadra antwortet weise: „Was gerade in Falludscha passiert, kann eine ‚amlija‘ sein.“ Eigentlich müsste man das Wort für Soldat noch vor „amlija“ sagen, aber im Zusammenhang mit „Falludscha“ wisse doch jeder, dass militärische Aktionen der Amerikaner gemeint seien. Das nennt man Kontext.

Im richtigen Kontext kann „riada“ ein militärisches Training sein. Aber auch Matheübungen oder Segelsport sei möglich. „Ist es vielleicht wie im Deutschen, wo ein Sport im Zusammenhang mit ‚Denk‘ zum ‚Denksport‘ wird?“, fragt ein Richter und klingt als habe er einen versauten Witz endlich verstanden. Der arabische Herr im Zeugenstand nickt.

So geht es weiter. Wenn die Terrororganisation al-Qaida den deutschen Behörden weiterhin viel zu tun gibt, dann wird die deutsche Bedeutung vieler arabischer Worte vielleicht eines Tages als gerichtsbekannt gelten. Noch aber müssen sich ein Gelehrter und sechs Juristen mehrere Stunden über den Gebrauch von Adjektiven im Arabischen unterhalten, über die Sozialschichten, die bestimmte Begriffe verwenden und die politische Motivation, mal dies und mal jenes Wort zu verwenden: „Von Menschen, die positiv denken, werden Selbstmordattentäter nicht so genannt, sondern Mörder“, sagt der Sachverständige El-Khadra. Und so geht der Staatsanwältin noch ein Beweis flöten, auch wenn sie selbst das anders sieht: „In der Moschee ist über Sport gesprochen worden, jetzt ist es unsere Aufgabe, das einzuordnen“, kündigt sie an. Man müsse auch bedenken, dass da konspirativ gesprochen werde.

Aber sie ist trotzdem in der Klemme. Denn ihre Beweise sind zweifelhaft oder können widerlegt werden. Es scheint sie zwar zu geben, die Verknüpfungen, die aus den einzelnen Interessen des Ihsan G. ein großes, suspektes Gemälde machen könnten. Aber sie sind nicht Gegenstand des Verfahrens. So einiges, was in den Akten steht oder zumindest in den Vermerken der Polizei, scheint in den Prozess nicht so eingeführt worden zu sein, wie es die Prozessordnung vorsieht. Darum geht es zum Beispiel auch, als Muhiddin El-Khadra erklärt, dass die Leibgarde des jordanischen Königs aus Tschetschenen besteht, weil die als besonders mutig und loyal gelten. Er tut das, um den Unterschied der arabischen Worte für Tschetschenen und für Tschechen zu klären. Die Bundesanwältin erklärt, dass das nicht notwendig sei, weil nur einer der Arabisch sprechenden Verbindungsleute die beiden Worte auf Deutsch verwechselt hatte, als er mit seinem „V-Mann-Führer“ von der Polizei sprach. „Ich weiß nicht, worum es geht“, sagt die Anwältin von Ihsan G. Im Prozess sei über dieses Gespräch nie gesprochen worden.

Das ist nicht verwunderlich: Hinter den Richtern stehen zwei Regale voll weißer Akten zum Prozess. Nicht alles, was auf dem Papier dort steht, kann im Prozess vorgelesen werden. Und so verbringen die Richter einige Verhandlungstage nur damit zu beschließen, welche polizeilichen Vermerke, welche BKA-Erkenntnisberichte, welche Telefonüberwachungsprotokolle und welche anderen Urkunden verlesen werden sollen. Nicht zu unterschätzen ist auch die Leistung, zu jedem einzelnen Aktenstück die richtige Aktennummer plus Seitenzahl herauszusuchen.

In einigen Fällen bittet der Vorsitzende Richter auch darum, dass die Schriften, die sowieso schon alle in Kopie haben, nicht noch einmal verlesen werden. Viel anders, als den Inhalt von Beweisstücken laut vorzutragen, ist das auch nicht, denn „vortragen“ ist das falsche Wort. „Runterrattern“ wäre treffend. Alle „Verfahrensbeteiligten“ bitten um eine Kopie, sobald der Richter mit seiner Ansammlung von Silben geendet hat. Die anderen schauen verwundert. Der Prozess ist nur noch haarscharf öffentlich.

Die nächsten Tage wird ohnehin nur noch „Warten auf den Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes“ gespielt. Heinz Fromm soll aussagen, welche Vermerke Grundlage für seine Beobachtungen waren. Die Anwältin vermutet, dass sich einige Aussagen von den Ansprechpartnern der Verbindungsleute aus der Szene doppeln. Aber bis Herr Fromm darüber sprechen kann, mussten zwei Verhandlungstage ausfallen und einige sehr kurz gehalten werden. Die erforderliche Aussagegenehmigung für den obersten Beschützer der Verfassung fehlte wochenlang. „Auch in diesem Verfahren gilt der Beschleunigungsgrundsatz“, hatte die Anwältin die Warterei moniert. Anfang nächsten Jahres, nach der Winterurlaubspause des Gerichts, wird die Sache fortgesetzt und auch ein Urteil erwartet. Auf das dürfen besonders die gespannt sein, die nicht Einsicht in die Akten hatten.