Ein Quartier entrinnt dem sicheren Tod

Der Mythos lebt: Heute vor 30 Jahren verhinderten die BewohnerInnen des Ostertors endgültig den Bau der „Mozarttrasse“. Sie hätte aus dem heutigen Bilderbuch-Stadtteil einen autogerechten City-Vorort gemacht.

Bremen taz ■ Es klingt wie eine Horrorvision, wenn der Architekt Olaf Dinné an die vor genau dreißig Jahren beerdigten Pläne zur so genannten „Mozarttrasse“ erinnert. „Man muss sich das vorstellen: Der Wallgraben sollte in drei Etagen unterwühlt werden und Bremen eine U-Bahn bekommen!“ Gestern feierten sie sich mit viel Schulterklopfen für das, was vor 30 Jahren „eine städtebauliche Zeitenwende“ eingeleitet hatte. In kleiner Runde erzählten die Verhinderer der Mozarttrasse, allen voran der damalige Juso und Hauptaktivist der Bürgerinitiative Olaf Dinné, vom „für die Bundesrepublik einmaligen Vorgang“. Nie zuvor hätten Anwohner eine derart lang geplante und politisch heftig gewollte autogerechte Verkehrsplanung mit ihrem Widerstand ausgehebelt.

Am 5. Dezember 1973, heute vor 30 Jahren, stimmte die Bremer SPD-Fraktion mit großer Mehrheit gegen den Bau der Trasse. Ein Tunnel sollte vom bereits fertigen Rembertikreisel quer durchs Ostertor bis zur Weser führen, von dort sollte eine Straße bis zur Autobahn im Südwesten Bremens führen. Schon seit 1959 existierten Pläne, die die Autoströme auf großen, breiten Straßen innenstadtnah durch Wohngebiete führen sollten. Die Stadt hatte dafür bereits für viele Millionen Mark Grundstücke aufgekauft. Im Ostertor sollten dafür von 1.870 Häusern 587 abgerissen werden.

Doch die Bewohner begehrten gegen die Pläne der SPD-Regierung auf. Mit markigen Parolen wie „Wo nichts zerstört hat Bomb’ und Krieg, feiert jetzt Trassenwahn den Sieg“ boten sie Bürgermeister Hans Koschnick und Bausenator Hans Stefan Seifriz die Stirn. Sie warfen den Politikern vor, das Gebiet durch Renovierungs- und Bauverbote bewusst sanierungsbedürftig gemacht zu haben. „Man wollte den Zustand des Viertels dahin bringen, dass man beim Abriss leichte Hand hat“, sagt Pastor Hans-Martin Sixt, damals Mitglied der SPD-Fraktion.

„An eine bewusste Herunterwirtschaftung kann ich mich nicht erinnern“, hält Hans-Stefan Seifriz, der trotz Einladung nicht zur Feierstunde erschien, auf taz-Nachfrage dagegen. Aber auch er ist heute „angesichts der veränderten Umstände“ froh darüber, dass die Pläne nicht verwirklicht wurden. „Uns hat der Gedanke doch auch wehgetan, die alten Häuser abzureißen – aber man hat damals geglaubt, die Innenstädte entlasten zu müssen.“

Außerdem rechneten Experten damit, dass Bremen schon bald 800.000 Einwohner beherbergen müsste. Die Mozarttrasse war dabei nur eines von vielen, wie Sixt meint, „brutalen Projekten“. Der damalige Bundesbauminister etwa plante Osterholz-Tenever als Trabantenstadt bis nach Verden auszuweiten.

Im Viertel jedenfalls setzten sich die Anwohner durch, vor allem aufgrund der Verschmelzung von Bürgerinitiative und Parteiarbeit, glaubt Dinné: „Koschnick hat sich vor dieser geballten politischen Wucht gefürchtet.“ Den heutigen Initiativen wirft er vor, dass sie sich „zu vornehm für die Wühlarbeit in der Partei“ seien. „Wir haben damals mit Genuss bis zu den Armen in der Scheiße gewühlt.“

Das kann Günter Knebel vom Bürgerbündnis gegen den Ausbau der Schwachhauser Heerstraße zur Stadtautobahn nicht nachvollziehen. „Gerade durch die Überparteilichkeit können wir auf Unterstützung aus allen Parteien bauen“, meint er auf Anfrage. Dass die Mozarttrassen-Pläne nicht nur Schnee von gestern sind, zeige, so Knebel, der LKW-Führungsnetzplan für die Bremer City. Da erkenne man deutlich, dass der Ausbau der Schwachhauser Heerstraße der Rest der damaligen Pläne ist. Der Erfolg des Bürgerprotestes vor 30 Jahren macht Knebel Hoffnung: „Vielleicht besinnt sich die Politik doch noch eines besseren – so wie damals.“ Daniel Schalz

Weil das Bremer Ostertor am 5. Dezember 1973 „dem Tod von der Schippe gesprungen“ ist, wird heute ab 20 Uhr mit „alten Kämpfern“ in der „Lila Eule“ gefeiert.