„In Träumen leben“

LEBEN Der Österreicher Michael Zeltner schreibt mit Licht Geschichten. Ein Gespräch über Laser-Graffiti, Außenseitertum und Zwänge

„Wenn die Polizei fragt, was wir machen, wenn wir mit dem Laserstift unterwegs sind, sagen wir, wir sind Künstler“

Leben: Geboren 1986 in Klagenfurt in Österreich. Erst mit drei Jahren lernt er sprechen, davor nur Geschrei. Diagnostiziert wird ein Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADS). Schule mit fünfzehn abgebrochen. Danach Kontakt mit der Wiener Künstlergruppe „monochrom“. Musicals, Netzkunst, Performances und Computerspiele mit trashiger Ästhetik. Zeltner wohnt nach Zwischenstopp in Berlin in Wien und London.

Kunst und Arbeit: Autodidakt. Entwickelt Techniken, um im öffentlichen Raum Stimme zu erheben. Zahlreiche Nebenprojekte. Sprunghaftes und vagabundierendes Künstlerdasein www.niij.org. Beim taz-Kongress in Berlin warf er Laser-Graffiti an die Fassade des Hauses der Kulturen der Welt.

Kleines Glossar: „Tags“ – Sprayer-Unterschriften; „Powerthief“ – illegales Stromklauobjekt mit Glühbirnen- und Steckdosenfassung; „Trainbomber“ – Sprayer, die meist nachts Züge bemalen.

INTERVIEW WALTRAUD SCHWAB
UND PAUL WRUSCH

„Ich kann doch aus einer Twitter-Nachricht kein großartiges Konzept herauslesen. Zurück bleibt nichts“

Waltraud Schwab ist Reporterin im sonntaz-Ressort. Bevor sie nach Berlin kam, lebte sie in London.

■ Paul Wrusch, geboren in Halle/Saale, ist Volontär bei der taz und gerade im sonntaz-Ressort.

■ Amélie Losier, geboren in Versailles, arbeitet als freie Fotografin in Berlin und Paris.

taz: Herr Zeltner, darf man Nerd zu Ihnen sagen? Ja. Nerd, das ist ein Sonderling, ein Verrückter, ein Außenseiter. Sie beleidigen mich nicht, wenn Sie es sagen. Ich war immer ein eigenartiges Kind. In jeder Institution, die ich besuchen musste, ging es mir wirklich nicht gut. Im Kindergarten war ich Außenseiter. In der Volksschule war ich Außenseiter. Das Gymnasium habe ich viermal gewechselt. Alle fanden mich komisch. Um kein Volltrottel zu sein, hab ich es noch auf einer Privatschule versucht. Ohne Erfolg. Meine Schulkarriere – ein einziges Desaster. Man hat mir ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom attestiert. Wie fühlt sich das an? In meinem Kopf geht es immer bambambambam. Fünf Gedanken gleichzeitig. Nicht still sitzen. In Träumen leben. Das versteht kein Mensch. Mit fünfzehn habe ich geschaut, dass ich aus der Schule rauskomme. Aber wie Geld verdienen? Meine Mutter, alleinerziehend, ist nicht reich. Die Lehre nach der Schule habe ich auch geschmissen. Ich bin Außenseiter meiner Generation. Fühlen sich nicht alle Teenager als Außenseiter? Bei mir ist das extrem. Ich habe mich schon als Kind mit Programmieren beschäftigt. Viele können da nicht mehr mitziehen. Erst seit ich Leute kenne, die ihr Ding machen und die mir gezeigt haben, dass man sein Ding machen kann, geht es. Dass es die Möglichkeit gibt, das zu verfolgen, was man persönlich kann, daran halte ich fest. Davon geh ich nicht mehr runter. Jetzt ist das Graffiti Research Lab Ihr Ding. Was machen Sie da? Wir entwickeln Graffiti weiter. Wir sprayen und taggen mit Licht. Wir nehmen lichtstarke Laserstifte und schreiben unsere Messages an Brandwände und Hausfassaden. Wir bauen Spezialwerkzeuge, mit denen man sich im öffentlichen Raum größer, schneller, bunter ausdrücken kann. So kann man der Welt, die zugepflastert ist mit dummer Werbung, mit blödem Zeug etwas Eigenes entgegensetzen. Wir stellen diese Werkzeuge her und verleihen sie kostenlos an die, die sich auf subversive oder künstlerische Art Raum erobern müssen, um dort ihre Meinung zu sagen. Wenn die Polizei fragt, was wir machen, wenn wir mit dem Laserstift unterwegs sind, sagen wir, wir sind Künstler. Hin und wieder werden wir auf Festivals eingeladen. Manchmal kriegen wir dafür auch Geld. Der Laser ist Ihre Spraydose? Er ist wie ein Marker, ein Edding. Er ist ein transportabler Lichtstift mit zwei Batterien. Der Laser ist zwischen 50 und 100 Milliwatt stark. Solche Laser sind in Europa für Normalsterbliche nicht zugänglich. Nur mit offiziellen Genehmigungen darf man die in der Öffentlichkeit benutzten. Haben die Leute, die Ihre Technik benutzen, diese Genehmigungen? Das weiß ich nicht. Wie lange bleibt der Lichttext auf den Fassaden stehen? Das entscheiden die Licht-Sprayer selbst. Mit der Technik kann man das hinschreiben, aber auch wieder weglöschen. Zu den Erfindungen im Graffiti Research Lab gehört auch, dass Sie Stromklautechniken entwickelt haben, damit die Leute den Laserstift samt Computer öffentlich benutzen können. Es geht doch nur um ein paar Cent. Sobald man einen Generator benutzt, wird es laut und schwer. Aber man kann aus einer Glühbirnenfassung leicht eine Steckdosenfassung machen. Wir zeigen, wie. Glühbirnen hängen überall. In jeder Lampe vor den Häusern. Macht man die zu einer Steckdose, braucht man nur noch eine Kabeltrommel. Machen Sie den Leuten, die Ihre Technik ausleihen, Vorgaben? Uns geht es um Freedom of speech. Was die Leute mit der Technik projizieren, ist ihnen überlassen. Einzig, wir verleihen unsere Technik nur an Leute, die sonst im öffentlichen Raum nicht gehört werden. Wenn die deutsche Regierung käme, um mit unserer Technik ihre Propaganda auf Brandmauern zu projizieren, dann wären wir nicht glücklich. Wenn aber die Students of Free Tibet zu uns kommen und sagen, wir wollen bei Olympia in Peking auf dem Platz des Himmlischen Friedens den Spruch „Free Tibet“ auf das Mao-Mausoleum werfen, dann unterstützen wir das. Die sind ja wirklich an Sie herangetreten. Einer von uns, James Powderly, ist nach Peking gefahren. Wir haben eine neue Technik ausprobiert ohne Videobeamer und Laptop. „Free Tibet“ wurde auf einen 400 Milliwatt starken Laser eingespeichert, der eine große Entfernung überbrücken konnte. Es war alles sehr riskant. Und ist dann auch danebengegangen. Die chinesische Geheimpolizei hat was mitgekriegt. Powderly hat mit dem Spruch „free beer“ einen Test gemacht. Als die Geheimpolizei gesehen hat, die Technik funktioniert, wurde sein Hotelzimmer gestürmt. Er saß neun Tage in Haft. Tagsüber Werbung und Propaganda, nachts Freedom of speech. Versuchen Sie mit Ihren Techniken auch von der Nacht in den Tag zu kommen? Darüber kann ich nicht so gut sprechen, weil es ja wie Sprayen nicht legal ist. Aber wir haben auf der anderen Seite auch nie ein Geheimnis aus dem gemacht, was wir entwickeln. Wir gehen tatsächlich in Bereiche, die man tagsüber sehen kann. Ein Projekt ist Cyanotypie – ein altes fotografisches Verfahren. Wie geht es? Lichtempfindliche Chemikalien werden auf Hauswände gestrichen und ein Negativ wird drauf projiziert. Was sich nicht in fixierte Kristalle verwandelt hat, wird rausgewaschen, der Rest bleibt. Man kann bei dieser Technik mit Fotos arbeiten. Es wird nachts gemacht, ist aber am Tag sichtbar. Bis jemand es übermalt. Wir haben einige Tests gemacht. Aber die Technik ist noch nicht heraus. Wir wollen das richtig groß machen. Dafür fehlt gerade das Geld. Was passiert eigentlich, wenn ein Laserstrahl einen Menschen trifft? Man kann erblinden. In den Lasern sind Infrarotfilter drin. Aber je nachdem, woher man das Ding hat, kann es sein, dass doch keiner drin ist. Wenn so ein Laser das Auge trifft, dann wird die Netzhaut sofort weggebrannt. Sie wollen, dass diese Technik für Gesellschaftskritik benutzt wird. Aber jeder, der kapiert, wie sie funktioniert, kann sie nachbauen und damit auch Nazi-Parolen an die Wand werfen. Bisher war Laser-Graffiti immer eine soziale Geschichte. Du bleibst da nicht alleine. Die Aktion zieht Leute an. Falls da plötzlich „tötet Juden“ an der Wand steht, wirst du innerhalb von ein paar Sekunden massiv Ärger bekommen. Sie haben bei Ihrer Aktion in Berlin Wörter wie „Jihad“ und „Bagdad“ auf das Haus der Kulturen der Welt projiziert. Warum? „Jihad“ deshalb, weil wir als Kollektiv schon öfter mit Terroristen verglichen wurden. Und dann geht es auch darum zu provozieren. Als ich „Jihad“ auf die Fassade projiziert habe, waren sofort Reaktionen da. „Pfui pfui.“ So bin ich ins Gespräch mit den Leuten gekommen. Wenn Sie mit dem Laser die Außenwelt zu Ihrer Welt machen, was spüren Sie dann? Es ist definitiv ein Hochgefühl, wenn man der Außenwelt sagt: Hallo, ich bin da. Auch früher, als ich noch mit dem Edding unterwegs war, war das wie eine Sucht. Ich habe den Marker immer mitgenommen und meinen Tag überall hingeschrieben. Wenn ich heute durch Wien laufe und noch einen Tag von damals finde, dann stell ich mich zu diesem Tag dazu und freu mich irrsinnig, dass der noch da ist. Nach „Jihad“ haben Sie „Hope“ auf die Fassade des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin geschrieben. Warum? Hope ist, was mir am Herzen liegt. Hope kommt von ganz ganz früher. Hoffnung ist, was mich durch die Schule und mein bisheriges Leben gebracht hat. Es gibt ein Lied von meiner Lieblingsband, da singen die: „We want punks in the palace, because punks got the loveliest dreams.“ Man kann nur im Kopf behalten, dass es schöne Träume sind und dass man ihnen doch folgt, so unwahrscheinlich sie auch sind. Fühlen Sie sich mit dem Graffiti Research Lab endlich nicht mehr als Außenseiter? Nicht wirklich. Wir sind nicht die Train-bomber, die nachts ganze Züge mit Graffiti besprayen. Wir werden zwar zu einem gewissen Grad akzeptiert, aber wir sind ein Teil am Rand. Das zieht sich in meinem Leben durch, dass ich immer so leicht im Abseits stehe. Wollen Sie das nicht auch? Mich frustriert es. Da ich viel mit neuen Medien arbeite, hätte ich es am liebsten, wenn eine Gruppe Leute auftauchen würde, die mein Verständnis von Technik und Ästhetik hat. Aber bisher kenne ich nur drei, vier Leute, mit denen ich mich verstehe. Die leben in London. Das ist der Grund, warum ich gerade dort wohne. Welches Verständnis von Technik und Ästhetik haben Sie? Eins, das ich „humanistisches Geschichtenerzählen“ nenne. Da geht es nicht um traditionelles Geschichtenerzählen mit Worten, sondern um das Erzählen mit Bildern, mit Lauten, mit Musik. So, wie es ganz früher gemacht wurde. Die Gefühle sollen angesprochen werden, die Instinkte. Man soll Geschichten hören, indem man sich von seinen Gefühlen leiten lässt. Sie machen noch viel mehr. Im Internet kann man Fotos finden, auf denen Sie sich in grenzwertigen Umgebungen zeigen. Da ist ein Haus, das Hypotopia heißt und in dem junge Leute Sexualität, Trash, Banalität, Einfalt, Mickymaus, Religion und Kommerz zusammenschütten. Was ist Hypotopia? Bei Hypotopia findet man sich plötzlich in einem abgefuckten Raum mit Kostümen und Requisiten, die verschiedene Leute mitgebracht haben. Dann erforscht man, was mit einem geschieht, wenn man sich auf einen fremden Stil einlässt. Es sieht aus, als wären nur Verrückte am Werk. Zählen Sie sich da dazu? Die Antwort fällt mir gerade schwer, weil das das Projekt einer Freundin ist, mit der es im Moment gar nicht gut läuft. Wir reden nicht mehr. Das tut weh. Es wirkt so, als wäre, wer in Hypotopia lebt, in einer Sinnkrise. Woran leiden Sie? Ich leide an meiner Generation, weil sie keine Verantwortung übernimmt. Jeder bleibt Kind, solange er kann. Und mich stört an der Gesellschaft, dass es überall nur noch um halbe Geschichten geht. Die Tendenz in der Medienlandschaft und im Netz ist doch so, dass alles immer weiter verkleinert wird. Es geht nur noch um die Schnelligkeit, wie Information verbreitet wird, und nicht mehr um ein großes Ganzes. Mir fehlt da einfach die Substanz. Auch wenn ich oft nicht die Power aufbringe, ein komplettes Buch zu lesen, kann ich doch aus einem Satz, aus einer Twitter-Nachricht, kein großartiges Konzept herauslesen. Zurück bleibt nichts. Keine Geschichte. Kein Gefühl. An all dem leiden Sie. Und jetzt noch Liebeskummer dazu. Sie sprechen es direkt an. Ja. Früher habe ich Liebeskummer in Musik ertränkt. Das geht nicht mehr. Jetzt ist das Gefühl einfach nur allgegenwärtig. Mein derzeitiger Status ist extrem schwierig. Mit verschiedenen Sachen jonglieren. Auf der einen Seite Arbeit und Projekt, auf der anderen Seite Miete zahlen und künstlerische Karriere und dann noch die Frauengeschichten. Aber jetzt verliere ich den Faden. Bei Liebeskummer verliert man den Faden schnell. Das hat auch mit Berlin zu tun. Auseinander gegangen ist die Beziehung an Silvester in Berlin. Wenn ich hier jetzt irgendwo vorbeikomme, denke ich immer daran, wie es auseinander gegangen ist. Berlin liegt von seiner Mentalität her so überkreuz mit Wien. Ich fühle mich der Wiener Seele zugetan, dieser melancholischen Leidensfähigkeit. Wien hat einige Sachen, mit denen man dort sehr obszessiv umgeht. Welche? Den Tod zum Beispiel. Sehr viele Wiener Lieder handeln vom Tod. Der Zentralfriedhof ist für viele Millionen Leute ausgelegt. Melancholie wird in Wien groß geschrieben, in Berlin nicht. In Berlin kann man nicht weinen. In vielen Projekten, bei denen Sie mitmachen, kommt so eine Endzeitstimmung auf. Fühlen Sie sich vom Ende angezogen? Nicht vom Ende, sondern vom Düsteren, leicht Destruktiven, aber noch immer Kreierenden. Das Schleppende und Kitzelnde. Endzeitstimmung als der Anfang von was Neuem. Um Ihr persönliches Leiden zu kompensieren, müssen Sie also ständig Neues entwickeln. Sie können nicht stehen bleiben. Wenn eine Struktur keine Flexibilität mehr zeigt, sei es sozial oder technisch, fängt das an, mich zu frustrieren. Wenn ich aber frustriert bin und merke, dass ich anecke, fang ich etwas anderes an. Das kann schon sein, dass das mit dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom zu tun hat. In meinen Lebenslauf schreibe ich ADS nur rein, weil ich damit am ehesten erklären kann, wie mein Arbeitsstil funktioniert. Wie funktioniert er? Ich habe viele Ideen, alle gleichzeitig, irgendwas anfangen und damit rennen, rennen, rennen. In alle Richtungen. Es gibt dann nichts anderes. Und gleichzeitig gibt es nichts. Weil ich alleine nichts fertigkriege. Es muss jemand neben mir sitzen, damit ich mich konzentrieren kann. Egal, was der macht. Wenn nicht, beschäftige ich mich mit irgendwas und verliere mich. Anstatt etwas fürs Graffiti Research Lab zu machen, komponiere ich Musik. Anstatt E-Mails zu schreiben, schneide ich Videos. Warum ist das so? Ich bin nicht sicher, woher das rührt. Ich hab das mit sechzehn gemerkt und hab von da an regelmäßige Treffen mit Leuten in Wiener Cafés organisiert, die dann einfach was Ähnliches gearbeitet haben. Andere Orte gab es damals nicht. Wenn ich alleine bin, lenkt mich alles ab. Aber wenn viel um mich rum passiert, was ich nicht beeinflussen kann, dann kann ich mich konzentrieren. Obwohl Sie ständig gleichzeitig ganz viel denken und machen, treffen Sie auf eine Gesellschaft, die immer noch linear vorgeht, wenn es um Entscheidungen geht. Das kann doch bei Ihnen so gar nicht funktionieren. Das mit dem Linearen ist eben der Grund, warum ich mich von einem normalen Leben so gut wie möglich abgeschottet habe und alles so flexibel wie möglich brauche. Mir wird schon bange, wenn ich nur einen Mietvertrag über zwölf Monate unterschreiben soll, weil ich definitiv keinen Vertrag über zwölf Monate unterschreiben will. Wenn es so schwierig ist, Kontrolle von außen zu ertragen, wie halten Sie dann so eine Interviewsituation aus? Ich schalte um auf Autopilot.