Die Territorien des Humors

LACHEN Zähne zeigen ohne Aggressionen: Mit den sozialen Funktionen des Lachens beschäftigten sich Künstler, Filmwissenschaftler, Linguisten und Psychologen auf einem Symposium im Filmhaus am Potsdamer Platz

Minderheiten lachen angeblich gerade deswegen, weil sie eigentlich nichts zum Lachen haben

VON DIETMAR KAMMERER

Kennen Sie den? In einer Moschee bittet ein orthodoxer Muslim im Gebet um mehr Glauben. Daraufhin ruft der Betende neben ihm, ein Anhänger der mystischen Traditionen des Islam, laut vernehmlich: „Und ich will mehr Schnaps!“ Die Empörung unter den Gläubigen ist groß, aber der Angegriffene erwidert ruhig: „Warum regt ihr euch auf? Jeder hier bittet Allah um das, wovon er selbst nichts besitzt.“

Seit dem Protesten um Karikaturen des Propheten hat sich im Westen bekanntlich die Auffassung verbreitet, der Islam könne keinen Spaß vertragen. Dass Muslime den Witz sogar als Instrument in innerreligiösen Diskussionen kennen, bewies der Religionswissenschaftler Harald-Alexander Korp mit obiger Anekdote vergangenen Freitag auf dem Symposium „Zum Lachen!“ im Filmhaus am Potsdamer Platz. Künstler, Filmwissenschaftler, Psychologen und Linguisten setzten sich dort mit den Unterschieden zwischen Anlachen und Auslachen, zwischen Schmunzeln und Sichkringeln, zwischen aggressivem und entspanntem Lachen auseinander.

Mohammed lacht

Wie Korp ausführte, haben vor allem die islamischen Mystiker offenbar keine Probleme damit, ihre Lehren in die Form eines Witzes zu kleiden. Schließlich lehnen sie ohnehin jegliche weltliche Autorität als Hindernis auf dem Weg zu Gott ab. Da kommt die subversive Kraft der Pointe gerade gelegen, die Eiferer unter ihren Mitgläubigen in ihrem Beharren auf das äußerliche Gesetz der Lächerlichkeit preiszugeben. Andererseits gilt, dass dem Lachenden nichts heilig ist und so gibt es durchaus klare Grenzen dessen, worüber ein Gläubiger sich vor Lachen ausschütten darf.

Wie viel Humor der Prophet dabei selbst verstand, ist unter Theologen eine mit tiefer Ernsthaftigkeit diskutierte Frage. Je nachdem zeigt Mohammed in der Koran-Übersetzungen dann beim Lachen die Vorder-, Backen- oder gar die Weisheitszähne, lacht also milde, fröhlich oder gellend aus vollem Halse. Während der Grad also noch umstritten ist, darf immerhin als gesichert gelten, dass Mohammed Emotionen nicht fremd waren – ganz im Unterschied zu Religionsstiftern wie Jesus oder Buddha, bei denen es zu wenig mehr als einem affektarmen milden Lächeln reicht.

Man sieht: Hinter jedem Schmunzeln, Grinsen und Kichern steht eine Bedeutung. Lachen ist unwillkürliche körperliche Reaktion und kulturell codierte Geste zugleich. Und weil die Bedeutung des Lachens am deutlichsten dort wird, wo es auf seinen Kontrast trifft, handelten viele der Beiträge von reichlich unkomischen Dingen: Religion. Macht. Sexismus. Fremdenfeindlichkeit. Rassismus.

So sprach die Linguistin Barbara Merziger von der „Unterdrückungshypothese“, davon, dass es vor allem die Minderheiten seien, die eine besondere Befähigung zum Lachen haben: Frauen, Farbige, Kinder.

Symbolische Befreiung

Diese lachen angeblich gerade deswegen, weil sie eigentlich nichts zum Lachen haben – und sich deswegen lachend wenigstens für kurze Zeit und symbolisch aus der Repression befreien würden. Andererseits, so Merziger, lasse Lachen sich auch als „soziales Gleitmittel“ verstehen, als ein Zeichen während eines Gesprächs, dass die oder der Zuhörende überaus interessant findet, was ihm oder ihr gerade erzählt wird. Solches Lachen ist funktional – es sorgt dafür, dass Gemeinschaft überhaupt stattfinden kann.

Das brachte die Frauenbewegung vor vielen Jahren zur Forderung: „Lach nicht so blöd!“ – Frauen sollten sich abgewöhnen, automatisch zu kichern, selbst dann, wenn gerade sexistische Witze gerissen wurden. Zwar mag der Anspruch politisch richtig gewesen sein, aber, so gab Merziger zu bedenken, es gibt letztendlich kein „falsches“ oder „richtiges“ Lachen. Jedes Lachen ist ein „Sichöffnen in die Welt“, eine Geste, bei der der Lachende der Welt die Zähne zeigt und dabei seine Aggressionen nicht auf-, sondern abbaut.

Dass Humor nicht nur verbinden, sondern auch trennen kann, gab die Schriftstellerin Barbara Sichtermann zu bedenken. Lachen ist Distinktion: Über den Vorwurf „Darüber kannst du lachen?“ sei schon so manche Beziehung zerbrochen. Auch das Fernsehen ist längst in unterschiedliche Humorterritorien aufgeteilt. Es gibt Harald Schmidt für die Ironiker, Helge Schneider für die Dadaisten und Oliver Dittrich für die verzweifelten Jedermänner: Jedes Publikum hat seinen Komiker, seine Vorlieben und seine Vorstellungen davon, was komisch ist. Und wenn es sich einmal entschlossen darauf eingestellt hat, so Sichtermann, kann ein Komiker einfach auch nur nichts tun. Er wird immer seine Lacher ernten.