jugend liest
: Geräuschvoll

Aufmerksamen John-Irving-Fans wird der Titel dieses Kinderbuches von John Irving schon bekannt vorkommen: „Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen“. Mit diesen Worten versucht in Irvings Roman „Witwe für ein Jahr“ die kleine Ruth eines Nachts ihrem Vater ein Geräusch zu beschreiben, das sie ängstigt. Ihr Vater, der erfolgreiche Kinderbuchautor Ted Cole, macht sich mit Ruth auf die Suche nach dem Geräusch. Unterdessen erzählt er ihr die Geschichte von einem Geräusch, das Ruths inzwischen verstorbene Brüder Tim und Tom einst in ängstliche Aufregung versetzte und von einer Maus herrührte, „die in der Wand krabbelte“. Diese Geschichte hat Cole in einem Kinderbuch verarbeitet, und auch aus seinem Gespräch mit Ruth macht er ein Buch. Dessen Titel: „Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen“.

John Irving hat nun seinerseits Ted Cole beim Wort genommen und dessen Bücher gewissermaßen zum Leben erweckt. Im Zusammenspiel mit der Illustratorin Tatjana Hauptmann erzählt er in seinem Kinderbuch noch einmal die Geschichte von den Brüdern und der Maus. In einer mondhellen Nacht wacht der vierjährige Tom durch ein Geräusch auf. Er fragt seinen kleinen Bruder Tim, ob dieser auch was gehört habe, doch dieser schläft tief und fest. Also weckt Tom seinen Vater und beschreibt ihm das Geräusch: „Wie ein Monster mit ohne Arme und ohne Beine, aber es hat versucht sich zu bewegen.“

Nun wundert man sich zunächst, dass Tatjana Hauptmanns Bildsprache nur wenig mit der erzählten Geschichte zu korrespondieren scheint: Der Vater ist eine Figur, die nicht zu sehen ist. Nur Tom sieht man durchs Haus wandern, auf schönen, in wenig Licht und viel Dunkel getauchten blau- und violettstichigen Bildern, die genauso weiträumig wie beengend sind. Als Sicherheitsmann immer den Teddy an seiner Seite, durchschreitet Tom hier eine Zimmerflucht, wagt dort einen Blick nach draußen, geht hier die Treppe herunter, sieht dort ein Kleid auf dem Bügel hängen oder ein paar Erdnüsse auf dem Boden liegen – es ist dies die Zeit, in der Tom versucht, auf eigene Faust das Geräusch zu erkunden, ängstlich, aber auch mutig die Eindrücke sammelnd, die er später seinem Vater mitteilt: „Es war ein Geräusch, wie wenn in Mammis Schrank ein Kleid lebendig wird und von seinem Kleiderbügel runterklettern will.“ Oder: „Wie wenn ein Gespenst in der Mansarde die Erdnüsse fallen lässt, die es aus der Küche stibitzt hat.“

Während auf der Textebene der Vater schon eingeschaltet ist und die Beruhigung eingesetzt hat, ist Tom auf der Bildebene noch allein, da ist vor dem Hintergrund des geheimnisvollen Geräusches im dunklen Zwielicht selbst eine Baseballmütze schon etwas Furchterregendes. Diese zeitliche Verzögerung macht den zusätzlichen Reiz dieses schönen, wundersamen Kinderbuches aus, das erst eines der Unruhe und Angst ist, dann der Angstüberwindung und schließlich der Besänftigung. Aber selbst Letztere dürfte noch Jahrzehnte später immer wieder an den ersten Schrecken erinnern: Denn eine Maus, die in der Wand krabbelt, die vergisst man doch im Leben nicht. ALEXANDER LEOPOLD

John Irving: „Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen“. Mit Bildern von Tatjana Hauptmann. Aus dem Amerikanischen von Irene Rumler. Diogenes, Zürich 2003, 40 Seiten, 16,90 Euro