theorie & technik
: Wie wird digital besser?

Selbst Ressortleiter bei der Telekom sehen sich als freischaffende Künstler

Leider immer noch keine Entwarnung für alle, die sich ihre Visitenkarten jedes halbe Jahr neu bedrucken lassen – der „Informationsbroker“ hat als pfiffige Selbstbeschreibung ausgedient, beim hüftsteifen „Symbolanalytiker“ lächeln die Empfänger gequält, und für den furiosen „Konzeptingenieur“ erntet man inzwischen nicht einmal mehr ein Stirnrunzeln.

So genannte Wissensarbeiter haben es beim Versuch, sich ihre eigenen Schneisen durch die Steppe der ehemals klar definierten Berufe zu schlagen, eben nicht einfach. Ähnlich verwirrend sind auch die Slogans auf ihren (zumeist leeren) Zigarettenschachteln: Knochenjobs können töten! Immaterielle Arbeit aber auch! Top-down-Kommunikation läuft nicht! Unhierarchisches Gewusel noch weniger! Networking is a basic means for your personal employability! Vernetzt du dich noch oder lebst du schon?

Natürlich war keiner von uns so dämlich zu glauben, dass die „lebendige Subjektivität“, die von Dotcom-Durchstartern und zuversichtlichen Neomarxisten beschworen wurde, es sich ausgerechnet bei uns überstudierten Wanderarbeitern gemütlich machen würde. Eher schon nahmen wir einfach das mit, was uns angeboten wurde (Kekse, Flachbildschirme, mobiler Schnickschnack etc.), und hofften insgeheim bald wieder auf ein stressfreies Büroleben in Festanstellung, wo einem der Chef die zu erledigende Arbeit auf den Tisch legt und keinerlei nebulöse „Zielvereinbarung“ den Frieden hinter den grauen Paravents zu stören droht.

Doch die Rückkehr in den tayloristischen Kuscheltraum sollte nicht gelingen. Stattdessen müssen wir uns heute von arbeitssoziologischer Seite den fortgesetzten Selbstbetrug vorhalten lassen: „Ob Subunternehmertum, Freelancer, Leiharbeiter oder Werkvertragler, ob ertragsabhängiger Leistungslohn, Programmentgelt oder Vertrauensarbeitszeit, ob Centerstrukturen, interne Märkte und Outsourcing, eingebettet in Strategien der Marktzentrierung zielen diese Maßnahmen auf die Flexibilisierung von Arbeit, die Intensivierung der Arbeitskraftnutzung und die Verlagerung der Kontrolle und des Risikos auf die Beschäftigten.“

Der das schreibt, nämlich Ulrich Brinkmann, ist festangestellt genug, um das Doppelbödige der Projektemacherei zu erkennen. Als einer der Autoren des Sammelbandes „Subjektivierte Arbeit“ geht es ihm darum, die „Ungewissheitszonen“ von den gefallenen Helden des Informationszeitalters gegen ihre Vorteile abzuwägen. Sein doch recht schwankender Befund: Einerseits bleibe die „tacit knowledge“, also ein eng an die Person gebundenes, hochspezifisches Wissen, eine wichtige Machtressource, die der unabhängige Wissensarbeiter gegenüber seinem Auftraggeber in der Hand habe. Andererseits erwachse eben aus dem Risiko für viele Unternehmen, dass diese Kompetenzen bald wieder woanders wildern, eine Renaissance von managerialen Kontrollambitionen und Leadership-Philosophien, die dann im Endergebnis auf eine „kalte Entmachtung“ der coolen Köpfe hinausliefen. Mit dem Selbstbild des freischaffenden Künstlers, das laut einer Studie von Ursula Holtgrewe selbst Ressortleiter bei der Telekom (!) verinnerlicht haben, ist dann allenfalls eine kleine Kompensation für den individuellen Gefühlshaushalt gefunden. Das grundsätzliche Problem dagegen bleibt: Wie kann ich eine erfüllende Tätigkeit für mich reklamieren, ohne objektiv der Gelackmeierte zu sein? Wie kann ich das, was als „Entgrenzung“ der Arbeit überall Furore macht, für mich persönlich einigermaßen im Zaum halten?

Die Soziologin Birgit Huber meint entsprechende Balance-Artisten in Köln-Kalk aufgespürt zu haben. Dort betreiben ein paar Leute das „Büro für Brauchbarkeit“. In diesem ingesourcten Zuhause akquirieren sie Aufträge für Interfacedesign, treiben Medienkunstprojekte voran und verkaufen selbst gestaltete Plattencovertaschen. Zusammen mit kostenlosen Freundschaftsdienstleistungen gruppiert sich das Ganze zu so genannten „kombinierten Lebenserwerbsstrategien“.

Dabei handelt es sich offenkundig um eine lokale Ausprägung der Berliner Ökonomie, die sich längst zu einem weithin akzeptierten Modell des Durchwurschtelns entwickelt hat. Die komparativen Vorteile von Computermaloche gegenüber Rinnsteinputzen einmal beiseite, möchte man gerne jener Portfolio-Workerin zustimmen, welche der wissbegierigen Ethnografin freimütig zu Protokoll gab: „Selbstverwirklichung ist für mich analog.“ JAN ENGELMANN

Klaus Schöneberger, Stefanie Springer (Hrsg.): „Subjektivierte Arbeit. Mensch, Organisation und Technik in einer entgrenzten Arbeitswelt“. Campus Verlag, Frankfurt/New York 2003, 213 Seiten, 29,90 €