Geklaute Kinder, überall

Pinocchio wird vom Wal verschluckt und Mickey Mouse von den Disney-Studios: Aber wer will schon so kleinlich sein bei „Disney on ice“. Schließlich ist das Eis glatt, die Läufer schnell und der Jubel laut

von HARALD PETERS

Alle waren da: Mickey, Minnie, Donald, Goofy, Mulan, Schneewittchen, Pocahontas, die Schöne, das Biest, Woody, Buzz Lightyear, die kleine Meerjungfrau und auch Pinocchio, die alte Nervensäge. Nachdem er gleich zu Beginn der Show „Disney On Ice - 100 Years of Disney Magical Moments“ von der Fee mit dem blauen Haar zum Leben erweckt worden war, belügt er auch schon den alten Geppetto, bekommt davon eine lange Nase, wird von einem schnaufenden Wal verschluckt und gleich anschließend wieder ausgespuckt – alles in ungefähr drei Minuten.

Aber 100 Jahre Disney wollen eben mit Tempo erzählt werden, sonst kommt man nicht durch. Auch für Feinheiten bleibt da natürlich keine Zeit. Zum Beispiel für die Feinheit, dass nicht etwa die Disney-Studios nun schon seit 100 Jahren bestehen, sondern ihr Gründer Walt Disney vor rund 100 Jahren geboren wurde, genauer gesagt am 5. Dezember 1901. Und auch, dass – wie in der Show fälschlicherweise behauptet wurde – nicht der alte Walt Disney die allseits beliebte Mickey Maus entwickelt hat, sondern vielmehr Ubbe Ert Iwerks, Sohn des ostfriesischen Einwanderer Ert Ubbe Iwerks, findet heute in der offiziellen Disney-Erzählung keinen Platz.

Doch wenn die Show auf dem Eis auch hier und da einige inhaltliche Schwächen zeigt, so ist sie zumindest mit erstklassigen Läufern besetzt. Unter den insgesamt 47 Läufern aus elf Ländern – zum Beispiel Jessica Melton, die Gewinnerin des Southwestern Regional Juvenile Pair Championships 1995, oder Tomoaki Koyama, der bei den Olympischen Spielen 1992 im Sololauf der Männer auf den 14. Platz kam, wie auch Brian Duckworth, dem Gewinner der Nationalen Australischen Seniorenmeisterschaften 1992 – sind bestimmt etliche, die sich bei intimen Kennern des Eistanzwesens einer gewissen Beliebtheit erfreuen.

Mit bunten Masken und drolliger Akrobatik wussten die Tänzer die jeweiligen Inhalte gestisch zu untermalen, und weil das Eistanzen mitunter ungemein anstrengend sein kann, war es so verständlich wie vernünftig, dass sowohl die Musik, der Gesang als auch sämtliche Dialoge von eigens vorbereiteten Bändern erklangen, was den Perfektionswillen der Show natürlich nur noch unterstrich.

Tatsächlich hatten die Macher an alles gedacht. Mit 147 unterschiedlichen Kostümen, einem Schloss auf dem Eis, das 9500 Kilogramm wog und an seiner höchsten Stelle die 12 Meter-Marke traf, und immerhin 600 Scheinwerfern, von denen 128 in mehrere Richtungen beweglich waren, wurde alles geleistet, um die Zuschauer im ausverkauften Velodrom zu erfreuen. Dass in der beliebten Smallworld-Szene, in der 18 Nationen zu einem symbolischen Eistanz zueinanderfinden, kein einziger Tänzer mit einer auch nur ansatzweise dunkleren Hautfarbe zu sehen war, gab zwar kurzzeitig zu denken, ließ sich aber durch den Umstand, dass der Eislaufsport sich in den südlicheren Gefilden schon aus klimatischen Gründen bislang nicht durchsetzen konnte, irgendwie ausreichend erklären. Die Kinder, die zahlreich in der Begleitung ihrer Eltern und Großeltern gekommen waren, schienen derartige Ungenauigkeiten wenig zu interessieren. Stattdessen wurde jede Disney-Figur mit lautem Gejubel begrüßt, wobei nach all den Jahren offenbar noch immer Schneewittchen eine der beliebtesten Figuren ist. Und war es nicht wunderbar, sie so grazil und anmutig über das Eis gleiten zu sehen? Gern hätte man auch Nemo, den beliebten Clownfisch, bestaunt. Doch Fische auf Kufen sind bislang offenbar noch ein Problem, für das man auch in den Disney Studios noch keine Lösung kennt.

Disney On Ice gastiert noch bis zum 14. 12. im Velodrom, www.velomax.de