Den „Nazi in der Straßenbahn“ spielen

Sechs Berliner Schulen dürfen sich inzwischen mit dem Prädikat „Schule mit Courage“ schmücken. Ihre SchülerInnen kämpfen gegen Diskriminierung – mit Klassikern wie Theatergruppen, aber auch mit Rollenspielen oder brasilianischer Kampfkunst

von GRIT EGGERICHS

„Gibt’s jemanden, der gern Nazi sein möchte?“, fragt Maraika Ropte von der Otto-Nagel-Oberschule in die Runde. Es gibt mehrere – fünf Mädchen ziehen sich schon mal die Kapuzen ihrer Sweatjacken über den Kopf, gucken grimmig und stecken ihre Daumen in den Hosenbund. Rechtsextreme Gewalt ist das Thema, Rollenspiel das Medium. Die Szene hat eine Schülerin vorgeschlagen: „Da sind ein paar Nazis und, ich sag mal, ein paar Bunte in der Straßenbahn, und denn wird gepöbelt.“

In der Kreuzberger Werkstatt der Kulturen konnten sich gegen Diskriminierung engagierte SchülerInnen gestern einen ganzen Tag lang kennen lernen und in Arbeitsgruppen gemeinsam kreativ werden. Brasilianische Kampfkunst, Theater, Filmen, Radio machen – damit möchte die Projektleiterin und Pädagogin Sanem Kleff SchülerInnen „befähigen, besser zu kommunizieren“. Man komme zwar sehr schnell auf Klischees zum Thema, wie die bekannte Szene in der Straßenbahn. „Wir wollen aber dazu animieren, sich mit allen Formen von Diskriminierung zu befassen“, erklärt Kleff. Sie verleiht Schulen das Prädikat „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage “, wenn sich 70 Prozent der Schüler und Angestellten mit einer Unterschrift dafür aussprechen. Erst gestern bekam die Salvador-Allende-Oberschule in Treptow-Köpenick als sechste Berliner Schule das Etikett. Auf ihren Schülersprecher Alex ist Kleff besonders stolz. Denn der „Super-Junge“ will sich nicht nur gegen rechte Gewalt, sondern auch gegen Diskriminierung von Homosexuellen und Behinderten einsetzen.

Auch an der Kreuzberger Hermann-Hesse-Schule würde man sich die Plakette wünschen. „Wir haben alle Unterschriften zusammen“, sagt Kira, die mit ein paar weiteren Schülern die Sache angebahnt hat. Zweite Auflage ist aber ein Pate. Und den haben sie noch nicht. Die Spaßpunks „Die Ärzte“ würden infrage kommen, haben aber noch nicht zugesagt. Und wozu braucht man das Prädikat eigentlich? „Frag ich mich auch manchmal“, sagt Philipp. Mitschülerin Charlotte fände es gut, wenn bekannt würde, dass sich an ihrer Schule Leute gegen Rassismus engagieren. „Und wir können Projekte machen, ohne dass sich Lehrer einmischen“, sagt Kira.

Wie Mareika und ihre Freundinnen von der Otto-Nagel-Oberschule. Die haben sich zu „Peer-Leaderinnen“ ausbilden lassen und moderieren jetzt Konflikte zwischen MitschülerInnen, etwa wenn gemobbt und gepöbelt wird. Eine beliebte Methode: das Rollenspiel.

Für Philipp müssten solche Spiele allerdings differenzierter ausfallen. Das Schema „Nazi macht Migranten an“ spiegelt nur einen Teil der Realität an den Schulen. „Ausländer oder Kinder von Ausländern müssten sich mal bewusster werden, dass sie auch rassistisch sind“, erklärt Philipp. Ali, türkischstämmiger Mitschüler, stimmt zu. Für ihn ist gar jeder Mensch ein Rassist. „Man müsste gucken, wo die Ursachen dafür liegen“, findet er.

Kira ist nicht nur optimistisch, was die Plakette betrifft. Sie befürchtet, dass sich andere Schüler kaum noch trauen könnten, sich zu äußern, aus Angst, es könnte politisch nicht korrekt sein. Sanem Kleff kennt dieses Problem: „Bisher ist aber niemand mit einer Armbinde über den Schulhof gelaufen und hat für Ordnung gesorgt“, erklärt sie.

Beim Rollenspiel werden „die Nazis“ am Ende von mutigen Mitbürgern vertrieben. Peer-Leaderin Melanie warnt, dass dies „in der Realität nicht so wahrscheinlich“ sei. Und gibt auch zu bedenken, dass manch Couragierter schon krankenhausreif geschlagen wurde.