Gemeinsam den Winter überstehn

Weihnachten ist für viele mehr Qual als frohes Fest. Was läuft bloß schief, hat die taz einen Psychologen gefragt, der auch andere Arten zu feiern kennt: Hossein Farshidi, wohnhaft in Bremen, geboren im Iran

taz: Herr Farshidi, Sie sind Psychologe und leben seit 1983 in Bremen. Zurzeit beobachten wir mal wieder das alljährliche Phänomen, dass sich die ganz deutsche Gesellschaft zwei Monate lang wie wild auf Weihnachten vorbereitet – warum?

Hossein Farshidi: Die Menschen in Deutschland leben sehr einsam. Weihnachten ist ein zentrales Fest für sie, es verbindet sie wieder miteinander. Da haben sie einmal im Jahr die Mama für sich oder wissen: einmal im Jahr, da kommt mein Kind nach Hause. Gesellschaften wie die deutsche brauchen solche Feiertage, denn ohne sie würden die Menschen noch mehr vereinsamen. Es ist eine Zeit, in der die Familien zusammenfinden – wenn auch oft nicht ohne Probleme.

Eben. Warum gibt es denn immer Streit unter der Tanne?

Gerade weil sich alle so selten sehen. So trägt jeder das ganze Jahr seine Konflikte mit sich herum. Der Ärger hat sich über Monate gestapelt und dann bricht er an Weihnachten aus.

Passiert das bei großen Festen im Iran denn auch, dass sich alle zum Schluss in den Haaren liegen?

Nein, wir haben im Iran eine ganz andere Streitkultur. Wir sind ein Volk mit einer sehr vordergründigen Höflichkeit. Wir lösen die Dinge nicht im Streit, sondern hinter den Kulissen – wir tratschen und lästern.

Und das führt zu Harmonie?

Ja, wenn man sich dann trifft, verzeiht man sich von Herzen und küsst sich. Und wenn doch zwei Parteien weiter miteinander im Streit liegen, dann gibt es immer einen weißbärtigen alten Mann, der sie wieder versöhnt. Wir kehren manche Dinge einfach unter den Teppich, und zwar soweit, dass wir sie selber nicht mehr sehen.

Aber das können Sie als Psychologe doch nicht gutheißen.

Es ist einfach eine andere Art, mit Konflikten umzugehen. Es wird eben mehr verdrängt. Es ist auch in Ordnung, nicht immer alles auf den Tisch zu packen. Die Deutschen sind sehr offen und müssen immer über jedes Problem ausführlich reden.

Was raten Sie denn den gebeutelten deutschen Familien zu Weihnachten?

Eine Mischung aus orientalischer Gelassenheit und okzidentaler Offenheit wäre gut. Nicht alles unter den Teppich kehren, einige Probleme vielleicht auch schon vorher mal am Telefon ansprechen, damit es beim Fest nicht so explodiert. Aber auch etwas mehr verdrängen, den einen oder anderen Klärungsimpuls zurückhalten und ein Fest einfach ein Fest sein lassen.

Ist das deutsche Weihnachten denn so ein richtiges Fest?

Na ja, so richtig rauschend ist es nicht. Hier kommt man zusammen und isst und trinkt gemeinsam. Aber von tiefem Herzen feiern, zusammen tanzen und laute Musik hören – das habe ich hier noch nicht erlebt. Auf jeder iranischen Feier wird von Anfang an getanzt. Im Tanz kann man loslassen und dem Körper etwas Gutes tun.

Woran liegt es, dass wir nicht ein bisschen wilder feiern?

Es fehlt vielleicht ein wenig die nötige Gelassenheit. Die Deutschen wollen immer alles planen und unter Kontrolle halten. Sie sollten mehr loslassen. Alles, was kommt, ist willkommen. Häufig kommt dann Gutes.

Erleben Sie die Vorweihnachtszeit als eine schöne Zeit?

Zum Teil sind es schon freudige Wochen, vor allem für Kinder. Viele Menschen sind aber auch sehr im Stress und rennen tagelang in Kaufhäusern hin und her, um irgendeinen Mist zu kaufen.

Woher kommt dieses Stresskaufen?

Es ist ein Sehnsuchtsmotiv, dass man andere toll überraschen möchte, und das muss jedes Jahr noch perfekter werden. Es muss sich jedes Jahr steigern – wie bei einem Drogenabhängigen. Das geht vom ursprünglichen Sinn doch sehr weg, dass man zusammenrückt und gemeinsam den Winter übersteht.

Im Iran feiern Sie ein großes Fest zum Frühlingsanfang. Haben Sie da auch so eine Hektik mit den Geschenken?

Nein, als ich damals im Iran gefeiert habe, haben wir uns immer Bargeld geschenkt. Man holt vorher neue Scheine von der Bank und verschenkt sie – sehr unbürokratisch. Es gibt keinen Streit und keine Enttäuschung – von Bargeld haben alle etwas.

Wenn es doch viele Menschen so anstrengt: Warum gelingt es nur wenigen, eine andere Art des Feierns zu entwickeln?

Die Menschen meinen, dass es harmonische Weihnachten geben muss. Das ist gesellschaftlich gewünscht, weil Weihnachten ein Riesengeschäft ist. Alternativen, anders zu feiern, werden deshalb wenig diskutiert. Dabei kann man auch mit Liebe überraschen. Zusammen sein und den anderen Lachen sehen wollen.

Wie feiern Sie denn Weihnachten?

Mit sehr viel Zeit, mit meiner Frau und meinen Kindern. Wir machen Fondue und Raclette und sitzen ewig zusammen.

Und, kein Streit?

Nein, dafür ist genug orientalische Gelassenheit da.

Fragen: Dorothea Siegle