Die zweite Chance: Abitur am Feierabend

ABENDSCHULE Nach der Arbeit in die Schule: In jedem Alter können Abschlüsse nachgeholt werden. Nicht alle halten den Stress aus

Im Abendgymnasium St. Georg können Berufstätige seit nun 50 Jahren ihren Schulabschluss nachholen. Der zweite Bildungsweg zum Haupt- oder Realschulabschluss und dem Abitur ist kostenlos. Die Zeugnisse entsprechen denen der normalen allgemeinbildenden Schulen.

Rund 600 Schüler lernen fünf Tage die Woche in der Abendschule St. Georg. Wie viele es genau sind, kann Schulleiter Gerhard Wolz nicht sagen, da sich laufend SchülerInnen an- und wieder abmelden. Die 22 Schulstunden in der Woche, von 17.30 Uhr bis zirka 21.30, verlangen den Schülern viel ab, sagt Wolz. „Es gibt eine Doppelt- und Dreifachbelastung. Neben dem Beruf haben viele Familie, einige kommen von Weiter her.“ Die Hausaufgaben blieben da schon mal auf der Strecke. „Jeder Zweite schafft am Ende seinen Abschluss“, bilanziert der Rektor.

Pro Jahrgang erreichen knapp 70 SchülerInnen das Abitur, rund hundert schließen mit einem Haupt- oder Realschulabschluss ab. Die 60 Plätze für Realschüler würden allerdings nicht ausreichen, berichtet Gerhard Wolz, da es jährlich doppelt so viele Bewerbungen gebe. Prinzipiell würde aber jeder aufgenommen. Einzige Bedingung ist, dass die BewerberInnen einen Beruf ausüben, beziehungsweise für das Gymnasium eine abgeschlossene Berufsausbildung oder drei Jahre Berufserfahrung vorweisen können.

„Es soll den jungen Erwachsenen eine zweite Chance gegeben werden“, sagt Wolz. Es sei auch eine politische Entscheidung, dass Bildung kostenlos angeboten werde, da sonst die soziale Spaltung verstärkt würde. Dabei spiele das Alter keine Rolle. „Vor drei Jahren hat eine Mutter zusammen mit ihrer Tochter Abitur gemacht“, erinnert er. Durchschnittlich sind die SchülerInnen Mitte 20. Das Alter wirke sich auf die Lernatmosphäre aus. „Alle wissen warum sie hier sind. Wer das tut, macht keinen Unsinn im Unterricht“.

Der 25-jährige Schüler Marko Pauleweit findet auch das Verhältnis zu den Lehrern besser als in seiner damaligen Schulzeit. Im Sommer will Pauleweit sein Abitur machen. Bis vor kurzem hat er Vollzeit in der Uni-Klinik Eppendorf (UKE) gearbeitet. „Ich bin morgens um 6 Uhr ins Büro und danach direkt in die Schule. Das war ganz schön hart“.

Jetzt jobbt er, wie viele im Jahr vor den Prüfungen, nur noch halbtags. Sein Privatleben würde trotzdem unter dem Zeitmangel leiden, sagt Pauleweit. „Da merkt man, wer zu einem hält und wer nicht.“ Damals hatte Pauleweit das Gymnasium abgebrochen um eine Ausbildung zu machen. Vielleicht ist er jetzt bald wieder am UKE, diesmal aber als Medizinstudent. HELGE SCHWIERTZ