Perfektionist ohne Ruhe

Seit mehr als zehn Jahren zieht Nikolai Birman von einem Ort zum anderen. Mit 50 Stunden klassischer Musik im Kopf. Jetzt hofft der Pianist in Düsseldorf auf den überfälligen Durchbruch

VON HOLGER ELFES

Er scheint einfach keine Ruhe zu finden. Seit anderthalb Jahrzehnten ist Nikolai Birman auf Wanderschaft: von Jekaterinburg nach Tel Aviv, von Tel Aviv nach London, von London nach Barcelona. Von dort aus verschlug es ihn dann an den Rhein, nach Düsseldorf, wo der Konzertpianist nun seit vier Jahren lebt.

Fragt man Nikolai Birman nach seinem Alter, antwortet er kokett: „Ein Künstler hat kein Alter. Ich möchte bis an mein Lebensende reif bleiben.“ Diese Reife spürt man, wenn man den Romantik-Spezialisten auf seine unnachahmlich sanfte Art Chopin oder Schubert spielen hört. Sein Alter aber kann man höchstens schätzen oder anhand seiner an Stationen reichen Biografie nachrechnen.

Begonnen hat Birmans Künstlerkarriere in Jekaterinburg. In der Ural-Metropole spielte er schon mit zehn Jahren das Konzert No. 3 von Kabaljewski. Sieben Jahre später musizierte er dann in den bekanntesten Konzerthäusern der Sowjetunion, raubte dem Publikum solo den Atem oder spielte gemeinsam mit den großen Orchestern des Landes. Das Bolschoj in Moskau und das Mariinski-Theater in Sankt Petersburg: Birman war überall. Sogar im Ausland durfte er spielen – ein Privileg in kommunistischer Zeit.

Dennoch beschloss Birman 1989, nach Israel auszuwandern. Der permanente Kampf um alles machte ihm das tägliche Leben in der spätsowjetischen Heimat unerträglich. In Tel Aviv wurde er warm empfangen, gab Konzerte, fand Freunde. „Was ich in Russland suchte, fand ich in Israel“, schwärmt Birman und philosophiert: „Gott hat mir Israel gegeben.“ Bis heute ist der Pianist israelischer Staatsbürger.

Trotzdem brach Birman wieder auf: Nach London, das „Künstlermekka“, wie er es gerne nennt. Zwei Jahre später ging er nach Barcelona. Und vor vier Jahren schließlich nach Düsseldorf. Noch heute spricht der kleine Sowjetjunge aus ihm, wenn er mit strahlenden Augen erzählt: „Es ist unvorstellbar, dass ich jetzt am Rhein wohne, wo so viele der großen deutschen Komponisten arbeiteten.“

Seine Lieblinge: Schubert, Liszt, Haydn – und immer wieder Beethoven. Acht Stunden am Tag, vor Konzerten bis zu zehn, spielt er sie im Schlafzimmer der kleinen Einzimmer-Wohnung hinter dem Düsseldorfer Hauptbahnhof. Dort wohnt Birman mit seiner Frau Isabelle. Nicht gerade eine der bevorzugten Wohngegenden der Landeshauptstadt. „Aber hier bot sich mir die einzige Möglichkeit, mit meiner Klavierspielerei keinen zu stören“, lacht Birman. Denn die Proben müssen sein, um die siebzehn Konzertprogramme immer parat zu haben. Fünfzig Stunden klassischer Musik vermag Birman auswendig zu spielen.

Was ihn antreibt, ist der Wille zur Perfektion. Er will immer besser und besser werden, dem Publikum etwas von dem geben, was er bei den deutschen Romantikern selbst empfindet: „Nur die Kunst, und vor allem die Musik, öffnet dem Menschen die Seele für die Liebe, für die Schönheit – und damit für Gott.“ Was er damit meint, erklärt eines seiner Schlüsselerlebnisse: „Einmal hörte ich die Neunte Symphonie an der Klagemauer in Jerusalem. Das war überwältigend. Beethoven ist für mich ein biblischer Komponist“, erzählt Birman tief begeistert.

In Düsseldorf erhofft er sich nun den Durchbruch als Konzertpianist. Auftritte in der Jüdischen Gemeinde, in der Johannes-Kirche, dem Helmut-Hentrich-Saal und in den Nachbarstädten Krefeld und Neuss hat er schon gegeben und dabei ausgesprochen positive Kritiken eingeheimst. Und er hat Freundschaften geschlossen. Beispielsweise mit dem evangelischen Pfarrer Manfred Bautz aus Krefeld, in dessen Kirche Birman schon mehrfach auftrat: „Ich habe noch nie jemanden getroffen, mit dem ich eine solche Übereinstimmung bei Musik und Literatur gefunden habe.“

Jetzt geht Nikolai Birman einen Schritt weiter auf der Karriereleiter. Am Donnerstag spielt er im renommierten Düsseldorfer Robert-Schumann-Saal. Schubert, Chopin und Liszt stehen dann auf dem Programm, laut Birman ein „Best of der Romantik“. Das ist Herausforderung und Risiko gleichermaßen. 800 Plätze müssen erst einmal gefüllt werden. Das wäre dann ein prächtiger Erfolg.

Der war für ihn im Westen schon einmal zum Greifen nah. Im September 2001 war eine Tournee in Amerika geplant. Ein Auftritt in der berühmten New Yorker Carnegie Hall sollte die Gastspielreise krönen. Die schrecklichen Ereignisse am 11. September machten dem Pianisten jedoch im letzten Moment einen Strich durch die Rechnung.

Wie andere Künstler, die nach Deutschland einwanderten, musste auch Birman feststellen, dass Talent alleine für den Erfolg nicht reicht. Kontakte, professionelles Management oder ein Sponsor wären dringend nötig. Aber, wer weiß, vielleicht erkennen bald ja noch mehr Menschen, was Fany Waterman, Gründerin und Chefin des Leeds Piano Wettbewerbs über ihn schrieb: „Nikolai Birman ist nicht einfach ein großer Pianist. Er ist ein großartiger Musiker, ein wunderschönes menschliches Wesen, dessen Schönheit von innen kommt.“

Nikolai Birman live, 9.12., 20:00 UhrDüsseldorf, Robert-Schumann-SaalKarten: 0211-8996123