Der PR-Agent

Ein klassischer deutscher Spitzenbeamter: fleißig, verlässlich, scharfer Verstand, keine VisionenEr ließ eine Homepage und einen Fanshop einrichten.Er gab das Kochbuch „Topf secret“ heraus

AUS PULLACH JÖRG SCHALLENBERG

Gegen halb elf am Morgen bricht plötzlich Unruhe aus im Saal des Pullacher Bürgerhauses. Zettel werden hereingereicht, Handys hervorgekramt, Journalisten eilen hektisch auf den Gang, um zu telefonieren. Während sich hier im beschaulichen Isartal bei München Experten aus aller Welt versammeln, um auf Einladung des Bundesnachrichtendienstes ein Symposium über die „Krisenregion Nahmittelost“ abzuhalten, sind in Istanbul mehrere Bomben vor britischen Einrichtungen explodiert. Beim BND reagiert man schnell. Schon kurze Zeit nach den ersten Meldungen über die Anschläge steht der Chef des deutschen Auslandsgeheimdienstes, August Hanning, gemeinsam mit Geheimdienstkoordinator Ernst Uhrlau auf einer improvisierten Pressekonferenz den ohnehin versammelten Reportern Rede und Antwort.

Vor einigen Jahren wäre ein solches Szenario, wie jenes, das sich Ende November abspielte, undenkbar gewesen. Die Öffentlichkeit zu einem Symposium einladen und dann noch unplanmäßig zu einem ganz aktuellen Geschehen Auskünfte erteilen – nein, das wäre beim geheimsten aller deutschen Geheimdienste bis weit in die Neunzigerjahre hinein wohl niemandem in den Sinn gekommen. Da fand man am Tor des Dienstsitzes in Pullach nicht einmal einen Hinweis darauf, welche Behörde hinter den kilometerlangen hohen Mauern residiert. Doch vor fünf Jahren hat August Hanning den Dienst übernommen.

Vorschusslorbeeren hat er damals kaum bekommen. Als der Jurist am 17. Dezember 1998 als neuer Präsident des Bundesnachrichtendienstes in Pullach vorgestellt wurde, da urteilte die Süddeutsche Zeitung unentschlossen: „Seine Berufung ist kein atemberaubender Einfall der Neuen in Bonn, aber auch kein schlechter Zug.“ Viel Neues schien sich nicht mit dem Neuen zu verbinden. Er war längst ein Altgedienter.

Bevor Hanning zum BND gerufen wurde, wirkte er als Stellvertreter des skandalumwobenen CDU-Geheimdienstkoordinators Bernd Schmidbauer und zuvor als Beamter im Bundeskanzleramt, in das ihn bereits Helmut Schmidt 1981 geholt hatte. Zwischenzeitlich diente Hanning von 1986 bis 1990 als Geheimschutzbeauftragter an der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ostberlin. Ein klassischer deutscher Beamter der Spitzenklasse, urteilten Experten. Fleißig, verlässlich, scharfer Verstand, keine Visionen. Ob er für die dringend benötigten Veränderungen beim BND der richtige Mann sein würde, das bezweifelten damals viele.

Selbst Bundeskanzler Gerhard Schröder, noch ganz frisch im Amt, schien sich ein wenig von der selbst getroffenen Wahl zu distanzieren und schon mal für ein mögliches Scheitern vorzubauen: „Er übernimmt eines der unbequemsten Ämter, das die Bundesrepublik zu vergeben hat“, gab er Hanning, damals 52, mit auf den Weg.

In der Tat: Der deutsche Auslandsgeheimdienst, nach dem Krieg aus der eher berüchtigten als berühmten Organisation Gehlen entstanden, galt vielen bis in die Neunzigerjahre hinein als anrüchiger Haufen von Geheimniskrämern, die eine Panne nach der anderen produzierten. Die Bundesregierungen straften ihn weitgehend mit Missachtung, Adenauers Nachfolger Ludwig Erhard soll einen möglichen Umzug von Pullach nach Bonn einst mit den Worten „Mit solchen Leuten wollen wir nicht unter einem Dach wohnen“ abgeschmettert haben.

August Hanning ließ sich von derlei Unfreundlichkeiten nicht beeindrucken. Große Worte hörte man von dem zurückhaltenden Westfalen bei seinem Amtsantritt zwar kaum, doch mit einer Mischung aus höflicher Freundlichkeit und sturem Selbstbewusstsein beharrte er schon damals darauf, dass der BND „besser als sein Ruf“ sei – und fügte mit Blick auf Politik und Medien hinzu: „Leute, die ihn kennen, wissen das.“ Dumm nur, dass der BND alles dafür getan hatte, dass ihn kaum jemand auch nur ansatzweise kennen konnte.

Unter Hannings Vorgänger Hans-Jörg Geiger öffnete sich der Dienst allmählich. Aber erst der jetzige Präsident verfolgte diesen Kurs konsequent. Er suchte den Weg in die Medien – auch wenn er der taz für dieses Porträt lieber kein Interview geben wollte. Er lud im Herbst 1999 erstmals zu einem öffentlichen Symposium nach Pullach, er gewährte Journalisten und Wissenschaftlern dann und wann Zugang zum streng abgeschirmten Gelände in Pullach, er ließ Broschüren verteilen, eine Homepage einrichten, einen Fanshop mit BND-Devotionalien eröffnen und gab nach CIA-Vorbild ein Kochbuch mit dem urkomischen Titel „Topf secret“ heraus.

Vieles war blanke PR, doch selbst der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele, der in der Parlamentarischen Kontrollkommission für die Geheimdienste sitzt, bescheinigt Hanning „eine neue Linie“. Natürlich bleibt Ströbele bei seiner Skepsis gegenüber dem geheimen Wirken des BND, aber er hofft: „Umso mehr das Licht der Öffentlichkeit da reinfällt, umso mehr werden die sich an die rechtsstaatlichen Vorgaben halten müssen.“

Im Inneren ließ der einstige Verwaltungsrechtler Hanning seine Behörde behutsam umstrukturieren und modernisieren, wobei ihm der Geheimdienst-Experte Erich Schmidt-Eenboom eine „kluge und vorsichtige Personalpolitik“ attestiert. Schmidt-Eenboom, der in den vergangenen Jahren mehrfach aktive und ehemalige BNDler befragt hat, stellte fest, dass Hanning innerhalb des Geheimdienstes eine weitaus höhere Akzeptanz besitzt als seine Vorgänger: „Seine Entscheidungen werden als sachgerecht akzeptiert, auch wenn sie wehtun.“ Im Gegensatz zu seinen sehr auf ihr eigenes Image bedachten Vorgängern Geiger und Klaus Kinkel betrachte Hanning den Posten als BND-Chef nicht nur „als Zwischenstufe auf dem Weg zum Staatssekretär, sondern als Enddienstgrad. Da agiert man mit mehr Ruhe und Souveränität“.

Hannings schwerste interne Herausforderung hat allerdings erst begonnen – bis 2008 soll der BND nach Berlin übersiedeln, was erhebliche Unruhe unter den über 5.000 Mitarbeitern ausgelöst hat. Doch die Geheimen sollen endlich mit der Regierung unter einem Dach sitzen, Hanning selbst hat längst ein Büro an der Spree.

Die Bedeutung des Dienstes ist durch die veränderte deutsche Außen- und Militärpolitik der letzten Jahre und den weltweit propagierten „Kampf gegen den Terror“ seit dem 11. 9. 2001 ohnehin enorm gestiegen. „Der 11. September war das Beste, was dem BND passieren konnte“, sagt Thomas Speckmann, Experte für internationale Beziehungen am Haus der deutschen Geschichte in Bonn. Im Bundeskanzleramt und im Kabinett ist Hanning längst ein begehrter und einflussreicher Berater, was auch daran liegt, dass er sich, wie es in Berlin heißt, nüchtern als Dienstleister des Staates betrachtet und weniger als oberster Geheimagent. Auch international hat der BND an Renommee gewonnen, weil er dank guter Beziehungen in den Nahen und Mittleren Osten oft einen Wissensvorsprung gegenüber Briten und Amerikanern hatte.

Das gestärkte Selbstbewusstsein demonstriert der Chef auch öffentlich, als er etwa vor dem Irakkrieg seine Zweifel an einem Militärschlag äußerte. Hanning befürchtete „eine Balkanisierung des Irak“ und warf den USA vor, „kein klares Konzept“ für eine Neuordnung des Landes zu besitzen. Dass er damit Recht behalten hat, macht den so besonnen wie uneitel wirkenden Beamten wenig glücklich. „Ich habe Sorge, im Irak ähnliches zu erleben wie in Afghanistan zu Zeiten der sowjetischen Besatzung“, sagte Hanning vor wenigen Wochen beim Nahmittelost-Symposium. Er habe die Befürchtung, „den Kampf um die Köpfe der Jugend“ in den arabischen Staaten zu verlieren. Solche Worte wirken bei ihm nicht wie abgelesen. Er meint das auch so.

Viele Kritiker bezweifeln dennoch, dass August Hanning nur der gute Mensch von Pullach ist. Die von ihm forcierte enge Zusammenarbeit mit den russischen Geheimdiensten im Kaukasus und eine Reise von Hanning nach Tschetschenien sorgten im Frühjahr 2000 für einen Eklat. Die Gesellschaft für bedrohte Völker warf ihm Beihilfe zum Völkermord vor. Hanning äußerte sich dazu nie. Geheimdienstaufseher Ströbele würde gern etwas sagen, darf aber nicht, so ist das Verfahren: „Da sehen Sie, wie verfehlt die Pflicht zum Schweigen ist. Was wirklich wichtig ist, darf man nicht in die Öffentlichkeit bringen.“

Tatsächlich stößt die Beschreibung eines Geheimdienstchefs an Grenzen. Letztlich bleibt er ein Phantom. Was Hanning wirklich bewirkt hat, wird man erst viele Jahre später erfahren, wenn der BND geheime Papiere freigibt. Falls er sie freigibt. Bislang ist man in Pullach mit der Veröffentlichung von Unterlagen aus früheren Jahrzehnten im Gegensatz zur CIA äußerst zurückhaltend. Daran hat sich auch unter dem öffentlichkeitswirksamen PR-Präsidenten wenig geändert. Vielleicht will der bedächtige Hanning, der ungern Menschen vor den Kopf stößt, auch nur seine Vorgänger nicht zu sehr beschädigen. Geheimdienstexperte Schmidt-Eenboom ahnt jedenfalls, „dass in den Dossiers viel Peinliches für den BND stehen könnte“.