Die Seleção ist das Maß aller Dinge

Der Titelgewinn Brasiliens bei der U-20-WM unterstreicht die Dominanz Südamerikas im Jugendfußball

ABU DHABI taz ■ Wer ist dominierend im Jugendfußball? Südamerika oder Europa? Als der brasilianische Kapitän Adailton den Siegerpokal in den Himmel von Abu Dhabi streckte, fand die alte Frage bei der 14. Weltmeisterschaft der U-20-Junioren in den Vereinigten Arabischen Emiraten eine eindeutige Antwort. Die Teamkollegen Adailtons illustrierten den Triumph Brasiliens mit sambaesken Freudentänzen vor 55.000 Zuschauern. Ein gewohntes Bild: Nach Ronaldo und Co. im Sommer 2002 und der U 17 im Sommer 2003 erklomm nun also auch diese Seleção den Gipfel in ihrer Altersklasse. Mit 1:0 hatten die Brasilianer das Finale gegen Spanien gewonnen. „Südamerika ist im Juniorenfußball das Maß aller Dinge“, bilanzierte stolz Marcos Paqueta, der Trainer des nunmehr vierfachen Junioren-Weltmeisters. Acht Titel gegenüber sechs europäischen stehen für die Südamerikaner jetzt zu Buche, die allerdings von den letzten sechs Turnieren fünf gewannen.

Viele Scouts von über 70 europäischen Spitzenvereinen äußerten sich enttäuscht über das Niveau. Eine das Turnier prägende Figur wie den Argentinier Javier Saviola, der vor zwei Jahren in seinem Heimatland Weltmeister, bester Spieler und Torschützenkönig wurde, suchte man bei den Spielen am Golf vergebens. So entsprang die überraschende Wahl des einheimischen Ismael Matar zum besten Akteur wohl eher der Ratlosigkeit als eindeutiger Überzeugung. Zwar besitzt der schmalbrustige Stürmer ein blendendes Ballgefühl, aber für die Weltklasse ist dieses 69-Kilogramm-Jüngelchen vom al-Wahda-Club aus Abu Dhabi zu leicht. Dem mit spektakulären Volten aufwartenden Brasilianer Daniel, Offensivverteidiger vom FC Sevilla, oder Spaniens Andres Iniesta, brillanter Einfädler des FC Barcelona, hätte der Goldene Ball besser zu Gesicht gestanden. Erfolgreichster Torschütze wurde Ed Johnson (USA), der allerdings drei seiner vier Treffer per Elfmeter erzielte.

Die Absenz vieler europäischer Spitzenspieler war dem Zeitpunkt des Titelkampfes geschuldet. Der Ligabetrieb war schließlich in vollem Gange. Neben Deutschland schied auch England sang- und klanglos aus. Frankreich, Portugal, Italien und Holland vermochten sich erst gar nicht zu qualifizieren. Die DFB-Auswahl von Trainer Uli Stielike verzichtete auf ihre Etablierten, weil diese von den Vereinen als unabkömmlich angesehen wurden. Doch nach dem peinlichen Vorrundenaus und dem damit einhergehenden Imageverlust meldete nicht nur DFB-Präsident Mayer-Vorfelder Zweifel an dieser Politik an. Immerhin sorgte der brasilianische Weltmeister Alcides von Schalke 04 für eine positive Note in Sachen Bundesliga.

Fifa-Boss Sepp Blatter störte besonders das Fernbleiben des auch von Bayern München umworbenen Argentiniers Carlos Tevez, der gerichtlich durchsetzte, dass er mit seinem Klub Boca Juniors in Tokio den Weltpokal gegen den AC Mailand gewinnen konnte.

José Pekerman, legendärer argentinischer Jugendtrainer, der dreimal den Titel gewann – 1979 mit Maradona, 1997 mit Riquelme und zuletzt 2001 mit Saviola – weiß eine einleuchtende Erklärung für die Dominanz der Südamerikaner: „Bei uns ist das Ziel, Profifußballer zu werden, für viele der einzige Weg, die soziale Leiter hochzuklettern.“ Während in Europa der Straßenfußball ausgestorben ist, bedeutet er für die Habenichtse aus den Armenvierteln der Metropolen Lateinamerikas oft die einzige Erfolg versprechende Beschäftigung. Folge ist nicht nur eine ausgefeiltere Technik der Spieler, sondern auch ein viel größeres Talente-Reservoir für die Klubs. Hinzu kommt, dass die Stars früh zu den Fleischtöpfen europäischer Klubs wandern und dadurch den Nachrückern Spielpraxis auf höchstem Niveau verschaffen. Dritter wurde übrigens Kolumbien nach einem 1:0 gegen Argentinien. TOBIAS SCHÄCHTER