Marx & Engels Nachf.

Alex Callinicos schlägt in seinem „Antikapitalistischen Manifest“ Wege zu kollektiver Verantwortung in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik vor. Die Umsetzung interessiert ihn nicht

Der englische Politikwissenschaftler Alex Callinicos verspricht viel. Er gibt seinem Buch nicht nur den programmatischen Titel „Antikapitalistisches Manifest“, sondern beteuert obendrein, „sich an die Form des Manifests“ von Karl Marx und Friedrich Engels (1848) anzulehnen.

Sein Text besteht aus drei ganz unterschiedlichen Teilen. Im ersten und umfangreichsten beschreibt Callinicos den Zustand des Kapitalismus nach seiner neoliberalen Umstrukturierung im Zeichen des „Washington-Konsenses“. Der amerikanische Ökonom John Williamson bezeichnete damit 1990 ein Bündel von Strategien: von der restriktiven staatlichen Ausgabenpolitik über Steuersenkungen, die Liberalisierung der Finanzmärkte, der Wechselkurse und des Handels bis zur Privatisierung von Staatsbetrieben und zur Deregulierung der Arbeitsmärkte.

Die Folgen dieser Politik sind im nationalen wie im globalen Rahmen bekannt. Für die ärmsten Länder bedeutete die neoliberale Wende, dass das Pro-Kopf-Einkommen zwischen 1980 und 2000 jährlich 0,5 Prozent geschrumpft, während es in den zwanzig Jahren davor noch durchschnittlich um 1,9 Prozent gewachsen war. Die Vorstellung, wirtschaftliches Wachstum würde gleichsam automatisch nach unten durchsickern, wird damit ebenso dementiert wie das globale Wachstumsversprechen des Neoliberalismus: „Nach seinem eigenen Maßstab des wirtschaftlichen Wachstums ist der Neoliberalismus ein Misserfolg.“

Für die Erklärung des neoliberalen Kapitalismus vertraut Callinicos auf die Marx’sche Theorie. Ihr zufolge sorgt das Lohnarbeitsverhältnis für Ausbeutung und damit für die Fortschreibung von Herrschaft. Die durch die Konkurrenz angetriebene Kapitalakkumulation dagegen untergräbt die Stabilität dieser Herrschaft durch periodische Krisen.

Verschärft werden diese durch die Finanz- und Währungsspekulationen, die mit der Liberalisierung der Finanzmärkte möglich geworden sind und das Schaukelspiel von Kapitalzufluss und Kapitalflucht enorm beschleunigen. Die Finanzkrisen in Mexiko (1994/95), Südostasien (1997/98) und Argentinien (2001) belegen das. Die erste Präsidentschaft von George W. Bush markiert die Verschmelzung der Wirtschaftspolitik der unsichtbaren Hand mit der Politik der imperialen Faust. Insofern sind Globalisierung und Krieg miteinander verwoben. Callinicos’ empirischer Beschreibung wie seiner theoretischen Erklärung des Neoliberalismus kann man durchaus folgen, sie ist aber auch nicht besonders originell.

Mit den Gegnern der neoliberalen Umformung der Welt befasst sich der Autor im zweiten Kapitel. In den Bewegungen der Globalisierungskritiker, wie sie seit 1999 in Seattle und Genua, aber auch auf den Weltsozialforen in Porto Alegre (Brasilien) auftraten, sieht er eine Renaissance von Protestbewegungen und antikapitalistischer Gesellschaftskritik.

Diese Bewegungen sind freilich nicht homogen, sondern artikulieren sich vielstimmig. Das Spektrum reicht vom reaktionären Antikapitalismus amerikanischer Isolationisten über den reformistischen Antikapitalismus von Attac und anderen Gruppen bis zum sozialistischen Antikapitalismus, wie er von französischen Trotzkisten vertreten wird. Eine ideologische Vereinheitlichung der Bewegungen ist nicht beabsichtigt, wohl aber eine Orientierung an Alternativen zur herrschenden Gesellschaftslogik, aufbauend auf demokratischer Selbstverwaltung und Solidarität.

Der dritte und letzte Teil des Buches enthält das eigentliche „Manifest“. Auf Grundlage der ethischen Werte Gerechtigkeit, Demokratie, Effizienz und Nachhaltigkeit entwirft Callinicos das Konzept einer „sozialistischen Demokratie“. Das Kriterium der Effizienz deutet darauf hin, dass in dieser Demokratie der Markt nicht von der staatssozialistischen Planwirtschaft abgelöst werden soll. Das „Wirkungsfeld des Marktes“ (Callinicos) soll jedoch dadurch eingeschränkt werden, dass alle Mitarbeiter eines Betriebs in die kollektive Verantwortung eingebunden werden.

Im Anschluss an den Ökonomen Pat Devine plädiert Callinicos für eine dezentrale Planung in „der Form eines politischen Prozesses ausgehandelter Koordination“, an dem Betriebsbelegschaften, Konsumenten, Zulieferer, staatliche Verwaltung und Interessengemeinschaften beteiligt sind. Im Kern zielt das „Manifest“ auf eine Ausdehnung und Vertiefung der Demokratie. Nicht nur über politische, sondern ebenso über wirtschaftliche, soziale und ökologische Fragen sollen „Koordinationskörperschaften“ demokratisch entscheiden – und dies im nationalstaatlichen wie im globalen Rahmen.

Mit der Frage, wie eine so anspruchsvolle Demokratisierung im Detail und obendrein weltweit ablaufen soll, beschäftigt sich der Autor nicht. Stattdessen präsentiert er am Schluss des Buches auf zehn Seiten ein „Übergangsprogramm“, das jeder aufgeklärte Sozialdemokrat und Gewerkschafter unterschreiben könnte.

Das Programm reicht von der Wochenarbeitszeitverkürzung über die Tobinsteuer, die allgemeine Grundsicherung und die Erhaltung des öffentlichen Dienstes bis zur Stärkung der Bürgerrechte. Das ist alles nicht falsch, aber angesichts der großspurig verkündeten Ansprüche des Autors, der sich oft und gern selbst zitiert, doch etwas bescheiden. RUDOLF WALTHER

Alex Callinicos: „Ein antikapitalistisches Manifest“. Aus dem Englischen von David Paenson, Rosemarie Nünning und Thomas Weiss, 160 Seiten, VSA-Verlag, Hamburg 2004, 14,80 Euro