Zauberwort „Universal Access“

Die zehnte „Online Educa“, die weltweit größte E-Learning-Messe, überraschte mit Realismus, Kritik und politischen Aspekten. Es wurde nicht nur über die Gefahr einer digitalen Spaltung der Welt debattiert, sondern auch die Nutzer kamen selbst zu Wort

VON OLIVER VOSS

„Statt immer nur darüber zu reden, machen wir inzwischen tatsächlich E-Learning.“ Mit diesem einfachen Satz beschreibt Sally Reynolds die Situation, in der sich die Branche befindet. Reynolds ist verantwortlich für das Programm der „Online Educa“, die vor einer Woche in Berlin stattfand. Zum zehnten Mal traf man sich auf der weltweit größten E-Learning-Messe, um über das elektronisch unterstützte Lernen zu diskutieren.

Neben den üblichen Best-Practice-Vorstellungen und Trenddebatten bot das Programm zum Jubiläum eine Reihe selbstkritischer Themen und Anlass zur Rückschau. „Wir sind jetzt realistischer und weniger blauäugig“, sagt Gilly Salmon von der Open Business University, die seit der ersten Messe dabei ist. Während Mitte der 90er-Jahre die Tatsache, E-Learning zu machen, Thema genug war, beschäftige man sich nun auch nüchtern mit den Problemen, die oft die gleichen seien wie im herkömmlichen Bildungsbereich.

Einer der Eröffnungsredner war Robert Cailliau, der mit Tim-Berners Lee das World Wide Web entwickelt hat. Kein Wunder, dass sich der Belgier fragt, wie wir eigentlich ohne gelebt haben. Doch zur Zukunft des Lernens sagt Cailliau, dass der direkte Kontakt mit einem Lehrer durch nichts zu ersetzen sei. „Ich finde auch heute noch beim Lösen von Problemen eine gute, alte Tafel mit richtiger Kreide hilfreicher als alles andere.“

Natürlich gab es aber auch Neues auf der „Online Educa“, im Mittelpunkt standen dabei drahtlose Technologien und Mobile Learning. Gezeigt wurden zahlreiche Lernplattformen für Unternehmen, Software zum Lernen und Testen von Fremdsprachen oder ein Programm zur automatisierten Auswertung von Essays. Ein wichtiges Thema war auch die Rolle von Open-Source-Programmen. Nach Ansicht einiger Referenten orientieren sich diese bei der Entwicklung mehr an Benutzerwünschen als kommerzielle Produkte, und gesparte Lizenzkosten könnten sich positiv auf die Qualität der Inhalte auswirken. Vor allem für kleine Unternehmen können Open-Source-Produkte künftig eine kostengünstige Alternative darstellen.

Gewinne versprechen sich die Anbieter dagegen im Nahen Osten. Die Regierungen der Region investieren große Summen in Bildung und neue Technologien, für E-Learning-Produkte in der Region wurden auf dem „Middle East Forum“ zweistellige Wachstumsraten prognostiziert.

Noch seien allerdings die kulturellen Unterschiede ein Hindernis, erklärt Bassem Khafagi von der Nahda-Universität in Kairo. Er nennt vor allem die Lerntradition, die sich auf mündliche Überlieferungen gründet. Jedoch habe E-Learning insofern Potenzial, sagt Khafagi, als es Frauen ermögliche zu Hause zu lernen. Dies bestätigt Sigrid Meiborg von der Kampagne „iMove“, die im Ausland für deutsche Weiterbildungsangebote wirbt. Meiborg berichtet vom Besuch an einer Womens School in Abu Dhabi: „Es war toll, die Mädchen an den Computern zu sehen. Frauen, die nie im Ausland studieren dürften, können mit E-Learning am internationalen Bildungs- und Geschäftsleben teilhaben.“

Ob und inwieweit elektronisch gestützte Bildung sozialen Wandel fördern kann, wurde auch diskutiert. „Die digitale Spaltung – Verkaufen wir Placebos?“ lautete der Titel einer Diskussion, in der man selbstkritisch fragte, wie man mit Entwicklungsländern umgehen soll, wenn es schon schwierig ist, E-Learning in Industrieländern zu etablieren. Für Bill Seretta ist „Universal Access“ das Zauberwort. Im universellen Zugang zu Internet und Online-Bildungsangeboten liege nicht nur die Zukunft für die westliche Welt, sondern auch die der unterentwickelten Länder. „Aber die Lösung ist dabei Teil des Problems“, sagt Seretta zum Teufelskreis der digitalen Spaltung.

Bill Seretta ist Gründer der Firma WhatIf Networks, die sich mit virtuellen Gemeinschaften beschäftigt. Der Amerikaner organisierte die vielleicht interessanteste Veranstaltung auf der Messe: Auf dem Podium hatte Seretta eine Runde Teenager versammelt, von einer Viertklässlerin bis hin zum College-Freshman. „Unser Problem ist, dass wir die Kunden nicht fragen“, erklärt Seretta seine Idee. „SMS-Kultur, Downloading und das Prinzip der Tauschbörsen, diese Phänomene haben die Kids geschaffen und sie sind es auch, die den Markt vorantreiben.“ Von der Generation, für die Computer und Internet Selbstverständlichkeiten sind, wollte man hören, wie sie mit diesen Techniken umgeht und wohin die Zukunft weist. Die Realität ist ernüchternd. Über Computer in der Schule hieß es unisono: „Zu wenig im Einsatz, zu viele Schutz- und Filterfunktionen.“ Also wird der Rechner zu Hause genutzt, unglaublich populär sind dabei Kommunikationsprogramme wie der „Instant Messenger“. „Ich mache damit im Netz Chemie-Hausaufgaben mit Leuten, mit denen ich mich nie treffen würde“, sagte Serettas Sohn Will. Chatten sei dagegen etwas für alte Leute.

Bildung müsste auch viel spielerischer sein, glaubt Seretta. Dass Bildungsspiele aber nicht ankommen, liege auch daran, dass sie schlecht gemacht seien. „Gute Spiele kosten eben richtig viel Geld.“ Bei den beliebten Online-Spielen sehe dagegen kaum jemand das Positive. Man agiert im Team mit Leuten aus der ganzen Welt. „Wie würde denn die Welt aussehen, wenn alle so miteinander kommunizieren würden?“, fragt Seretta. Beim Gedanken daran, was man mit den Geldern für den Irakkrieg anstellen könnte, rauft er sich die Haare. „Man sollte die Welt weiter vernetzen statt zu zerbomben.“