Zur Familiengeschichte

Eine private Initiative will die Flick-Collection in Berlin um eine Dokumentation zur Entstehung des Flick-Vermögens zur Zeit des Naziregimes ergänzen. Fraglich, ob sie damit in Berlin willkommen ist

VON BRIGITTE WERNEBURG

Warum nicht annehmen, dass Friedrich Christian Flick mit der kurzfristigen Leihgabe seiner Sammlung an die Staatlichen Museen zu Berlin nichts anderes will als andere Kunstfreunde auch, die ihre Arsenale öffentlich machen? Der passionierte Sammler möchte endlich mit seinen Schätzen glänzen, er hofft auf ein begeistertes Publikum und das neidvolle Staunen der Kunstwelt. Eine womöglich nicht unbeträchtliche Wertsteigerung seiner Sammlung, dank der Präsentation durch die Staatlichen Museen, hat er ganz ohne Zweifel mitbedacht. Schließlich gehört seine Sammlung der Flick Kunstverwaltung GmbH, deren Gesellschaftszweck laut Eintrag im Handelsregister Zürich der „Handel mit eigenen und fremden Kunstwerken“ ist. Gesellschafterin der Firma ist die „Contemporary Art Limited“ mit Sitz auf der Kanalinsel Guernsey. So lassen sich Steuern auch in der Schweiz umgehen.

Es besteht also kein Grund, die Leihgabe gleich zum Dienst an Gott und Vaterland hochzustilisieren, wie es in Berlin bei Veranstaltungen von Politik und Kultur inzwischen üblich ist. Da ist eben auch die Sache mit dem Großvater, Friedrich Flick, Hitlers größtem Rüstungslieferanten. Die unkritische Feier der Sammlung Flick, so sorgt sich ein anderer Teil der Berliner Bürger, der sich als „Gesellschaft für aktive Bürgerbeteiligung“ organisiert, sei geeignet, einer Verdrängung der Taten des Kriegsverbrechers Flick Vorschub zu leisten. Bei solch starken Anwürfen kommt die Gegenseite leicht ins Stolpern. Christina Weiss, die Bundesbeauftragte für Medien und Kultur, sagte gar – in einer Diskussionsrunde unter dem schönen Titel „Kultur im Kanzleramt“ –, die Sammlung Flick schließe „in Berlin die Wunde, die die Nazizeit geschlagen hat“.

Welche Wunde denn nun genau, und warum nur in Berlin? Die Antwort blieb Christina Weiss schuldig. Jetzt hat sie die Gelegenheit, ihrer krausen Behauptung einen Inhalt zu geben. Als Antwort auf die Flick-Ausstellung im Hamburger Bahnhof ab September kommenden Jahres haben der Unternehmensberater Armin Huttenlocher und der von ihm mit begründete „Förderverein Dokumentation Zwangsarbeiter“, eben jene „Gesellschaft für aktive Bürgerbeteiligung“, angekündigt, dass sie in einer „wissenschaftlich fundierten, sachlichen und politisch ausgewogenen Dokumentation“ die Zwangsarbeit unter dem Naziregime darstellen wollen. Das Unternehmen Flick solle zwar nicht allein stehen, aber doch „das zentrale Beispiel“ sein, sagt Armin Huttenlocher bei der Vorstellung des Projekts, das der Historiker Harald Wixforth leitet. Der in Bielefeld promovierte Wissenschaftler war unter anderem Mitarbeiter am Forschungsprojekt „Die Dresdner Bank im Nationalsozialismus“ der TU Dresden.

Man muss den Kurzschluss von Sammlerstolz und Sammlerspekulation auf eine bewusste Verdrängung der Vergangenheit, den der Förderverein zieht, keineswegs mitmachen, um das Vorhaben interessant zu finden. Das gilt zunächst für Friedrich Christian Flick selbst, der immer wieder öffentlich bekannte, seine Auseinandersetzung mit der Kunst sei auch seine Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte. Was hindert ihn also daran, sich mit der wissenschaftlichen Erforschung dieser Geschichte auseinander zu setzen? Lebhaftes Interesse dafür wäre aber auch von jenen Politikern zu erwarten, die sich für die Sammlung Flick in Berlin stark gemacht haben. Schließlich haben der Regierende Bürgermeister Wowereit, sein Kultursenator Thomas Flierl, die Abgeordneten Antje Vollmer und Monika Griefahn und die Bundeskulturministerin Christina Weiss bei Bekanntgabe der Vereinbarung mit Flick eine „gesellschaftliche Debatte“ gefordert, die sie seither nach Kräften zu unterbinden versuchen. Zwar riet Thomas Flierl dem Förderverein zunächst, einen Finanzierungsantrag bei der Lottostiftung zu stellen. Leider versäumte er dann – man muss vermuten, auf höhere Anweisung –, dort seine Stellungnahme rechtzeitig einzureichen. So blieb der Antrag unbehandelt.

Gewiss wird der Förderverein die 450.000 Euro, die er für seine Ausstellung braucht, auch über Sponsoren bekommen. Vielleicht hilft ja die Bundesbahn. Sie stellt der Flick-Sammlung eine ihrer leer stehenden Lagerhallen neben dem Museum für Gegenwartskunst, dem Hamburger Bahnhof, für eine sehr bescheidene Kulturmiete zur Verfügung. Ob sie Ähnliches vorhat für den Förderverein, ist nicht bekannt. Vielleicht wartet sie ab, was die hohe Politik in Berlin unternimmt. Die Signale sind verwirrend. Interessant ist der Vergleich mit der letzten Berliner Kunstdebatte um die geplante RAF-Ausstellung im kommenden Jahr. Hier kann (auf Weisung von Bundeskanzler Gerhard Schröder) die Kunst für Christina Weiss nicht genug mit Pädagogik und historischer Aufarbeitung umstellt werden. Die Ankündigung der Dokumentation des Fördervereins blieb von ihrer Seite bislang allerdings unkommentiert.

Ein subalterner Zug ist in der Kulturpolitik der Regierung Schröder nicht zu übersehen. Bei Beschwerden der höheren Stände, wie im Falle RAF, wird eilfertig auf Abhilfe gesonnen. Trifft die Beschwerde dagegen die höheren Stände selbst, herrscht peinliches Schweigen. Der Kanzler, der auf dem Parteitag in Bochum gegen Steuerflucht wettern musste, fühlte sich wenige Tage zuvor durch seinen Gast Friedrich Christian Flick geehrt, den er selbstverständlich nicht als Steuerflüchtling empfing, sondern als Wohltäter und Freund der Künste.