15 Stunden Wissen eintrichtern

Jeder Elitestudent hat je einen Mentor aus der Uni und der Privatwirtschaft

AUS AUGSBURG JÖRG SCHALLENBERG

Hans-Ulrich Buhl trägt einen beigen Strickpullover, der etwas aus der Mode gekommen ist, dazu eine ausgebeulte Bundfaltenhose. Ein grauer Haarkranz umrahmt die Halbglatze des 49-Jährigen, er lächelt gemütlich. Eben hat er noch hektisch telefoniert und ist zweimal etwas planlos zwischen seinem Büro und dem Vorzimmer hin- und hergerannt – kurz, Buhl erfüllt eigentlich das Klischee des zerstreuten Gelehrten: verknittert, vergeistigt, verbeamtet. Doch dann sagt er Sätze wie diese: „Ich will die Top-Ein-Prozent unter den Studierenden rausfischen.“ Oder: „Die Leute hier müssen zwei- bis dreimal so viel lernen wie der normale Student. Die müssen sich auf einen 15-Stunden-Tag einstellen.“ Schließlich: „Wenn wir denken würden, dass wir sie mit diesem Pensum überfordern, hätten wir sie erst gar nicht aufgenommen.“ Der erste Eindruck von Professor Hans-Ulrich Buhl hat wohl ein wenig getäuscht.

Schließlich leitet der Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, Wirtschaftsinformatik und Financial Engineering an der Universität Augsburg einen der ersten Elitestudiengänge an einer deutschen Universität –oder zumindest einen den ersten, die sich auch ausdrücklich so nennen. Als eine vom Freistaat Bayern einberufene Expertenkommission im Frühjahr 2004 insgesamt 15 Doktorandenkollegs und Studiengänge auswählte, als „Elitenetzwerk“ deklarierte und mit üppiger finanzieller Förderung bedachte, da war das interdisziplinäre Angebot „Finance and Information Management“ vorn mit dabei und erhielt von allen Bewerbern die höchste Fördersumme.

Zwei Millionen Euro schießt der Freistaat bis 2009 zu, um herausragende Studierende in vier Semestern zu Managern der Spitzenklasse zu formen, die sowohl die Finanz- wie auch die Informationsströme in Unternehmen erkennen und lenken sollen. Die gleiche Summe erhält Buhl noch einmal von den beteiligten Hochschulen und Partnern aus der Privatwirtschaft, darunter die Deutsche Bank, O2, IBM oder die Volkswagen-Bank. Dafür sitzen Vertreter der Firmen bereits mit am Tisch, wenn die Teilnehmer am Elitestudiengang ausgewählt werden.

Insgesamt 200 Studierende aus dem In- und Ausland haben sich in diesem Jahr für das Augsburger Angebot beworben, 60 wurden zur persönlichen Vorstellung eingeladen. Ein hervorragendes Vordiplom in Betriebswirtschaftslehre, Informatik, Mathematik oder Ingenieurwissenschaften war Voraussetzung für eine Einladung, die Entscheidung aber fiel in einem Prüfungsgespräch, das Buhl ohne Lächeln „sehr hart“ nennt. Dreizehn Männer und acht Frauen blieben übrig. Neben fachlichen und methodischen Kenntnissen interessierten die Prüfer aus Wissenschaft und Wirtschaft die persönliche Motivation, die Teamfähigkeit, die spätere Verwendbarkeit der Kandidaten. Und die Bereitschaft, 15 und mehr Stunden am Tag zu arbeiten, um sich das konzentrierte Wissen eintrichtern zu lassen.

Hartmut Wurster, Vorstandsmitglied des Augsburger Papierfabrikanten UPM Kymmene, findet die frühzeitige Beteiligung am Aussortieren sehr nützlich: „So kann man entscheiden, ob man zueinander passt, um keine Fehlinvestition zu machen.“ Und Dirk von Gehlen, Finanzchef der Firma, hat am Prüfungstisch darauf geachtet, ob „die Studierenden von ihrer Mentalität her geeignet sind, in einem globalen Konzern zu arbeiten“. Auch ausreichende Mobilität und „eine gewisse Affinität zur skandinavischen Mentalität“ waren nicht von Nachteil, wenn von Gehlen zur Jury zählte – schließlich sitzt der Mutterkonzern von UPM Kymmene in Finnland.

Trotz solch vermeintlich internationaler Ausrichtung hat es allerdings nicht ein einziger ausländischer Teilnehmer in den konsequent auf Englisch beworbenen Studiengang geschafft. Hans-Ulrich Buhl erklärt das zum einen mit der kurzen Vorlaufzeit und den knappen Bewerbungsfristen. Andererseits konstatiert er aber auch: „Pisa hin oder her, das deutsche Hochschulsystem ist nicht so schlecht. Eine 1,0 zählt hier noch was. In vielen anderen Ländern sagt das gar nichts aus.“ Und sein Assistent Dennis Kundisch ergänzt: „Von der Papierform her hatten wir exzellente Bewerber aus dem Ausland. Im Gespräch stellte sich heraus: Die bringen methodisch so wenig mit, dass die wahrscheinlich nicht mal eine Chance hätten, den Rückstand jemals aufzuholen.“

Im Gegensatz zu Julia Heidemann. Die 22 Jahre alte BWL-Studentin hat den Sprung in die Elite geschafft – und wartet zunächst mal mit einer verblüffenden Erklärung auf, warum sie unbedingt in den neuen Studiengang wechseln wollte: „Wer als Frau richtig Karriere machen will, bleibt meistens irgendwo stecken – erst durch so eine Ausbildung wie hier ist es möglich, einen Schritt weiter zu gehen. Ich muss dreimal so gut sein wie ein Mann, um in die gleiche Position zu kommen.“ Ein festes Berufsziel habe sie allerdings noch nicht, sagt Julia Heidemann, erst einmal sei sie heilfroh, jetzt in einer motivierten Gruppe zu arbeiten: „In einer normalen Vorlesung sehen viele den Hörsaal eher als Kontaktbörse.“

Die Elitestudentin: locker, energisch und etwas angeekelt vom Massenbetrieb

Locker, energisch und ein bisschen angeekelt vom allzu durchschnittlichen Lehr- und Lernniveau des Massenbetriebs: Julia Heidemann wirkt wie die perfekte Besetzung für eine junge deutsche Elitestudentin. „Es gibt genug Leute, die bewusst sagen, die Lebensqualität ist mir wichtiger als später in einem Topjob zu sitzen! Das kann ich vollkommen verstehen. Solche Menschen sind sehr angenehm.“ Auch für Patrick Brugger, 24, ist das mit dem Topjob nicht so entscheidend. Der Wirtschaftsinformatiker wollte vor allem deshalb beim „Finance & Information Management“ mitmachen, weil er sich nur dort wissenschaftliche Diskussion auf höchstem Niveau erwartet. Ob der Arbeitstag dann 15 oder 18 Stunden hat, ist ihm egal: „Für mich ist das ein Stück Lebensqualität, wenn ich mit den besten Leuten zusammenarbeiten kann.“

Damit die beiden in ihrem Ehrgeiz nicht gebremst werden, warten nun zumindest vier Semester auf sie, die randvoll gepackt sind mit Angleichungskursen, Übungen, Forschungseinheiten, individuell zugeschnittenen Lehrprogrammen, Praktika, Workshops und Auslandsaufenthalten. Semesterferien gibt es nicht, allenfalls „vorlesungsfreie Zeit“, wie Hans-Ulrich Buhl anmerkt – was so viel bedeutet wie: Diese Zeit muss für das Studium genutzt werden. Weil ein Nebenjob in den kommenden zwei Jahren für die Augsburger Elite unmöglich sein dürfte, gibt es Stipendien – die allerdings strikt leistungsbezogen sind. Jedem Elitestudierenden stehen zudem je ein Mentor aus der Wirtschaft und von der Universität zur Seite. Insgesamt wird laut Hans-Ulrich Buhl für Patrick Brugger, Julia Heidemann und die anderen 19 pro Kopf „zehnmal so viel Geld ausgegeben wie für einen normalen Studenten“.

Bei der Augsburger Studentenvertretung stößt diese Relation auf wenig Verständnis. Denn immerhin will die bayerische Staatsregierung in dieser Legislaturperiode bis zu 10 Prozent der bisherigen Bildungsausgaben einsparen. Zwar wurden die Landesmittel für das Elitenetzwerk gewonnen, indem den Beamten ein freier Tag gestrichen wurde. Doch Johannes Kaindl, Referent der Studentenvertretung fürchtet, dass die Eliteförderung „auf Kosten der Allgemeinheit geht“. Andere Lehrstühle, meint Kaindl, „werden wahrscheinlich nicht neu besetzt werden – vor allem im geisteswissenschaftlichen Bereich“. Auch die juristische Fakultät muss – als kleinste in Bayern – um ihren Erhalt zittern.

Hans-Ulrich Buhl lässt sich von solchen Bedenken nicht beirren. „Die Hochschulen werden eine schärfere Profilbildung betreiben müssen“, sagt er – was dann auch bedeutet, dass ganze Fachbereiche eben wegfallen. Sorgen bereitet ihm da eher, dass die Finanzierung seines Studiengangs nur bis 2009 gesichert ist. Zudem hat Edmund Stoiber zugesagt, dass die Elitenbildung nicht auf Kosten der Breitenförderung geht. Das glaubt Studentenvertreter Kaindl allerdings nicht: „Damit die Anschlussfinanzierung gesichert bleibt, wird dann wahrscheinlich woanders gekürzt. Irgendwo muss das Geld ja herkommen.“