Anonyme Spender aus den USA

Milliardenschwere US-Firmen machen Geschäfte mit dem Cross-Boarder-Leasing der Ruhr-Kommunen. Kaum eine Stadt kennt allerdings die Geldgeber jenseits des Atlantiks

VON HAIKO LIETZ

Arthur F. Ryan ist ein Mann, der sich finanziell keine Sorgen machen muss. Sogar so wenig, dass er sich schon wieder Sorgen macht, wie er seine Schäfchen ins Trockene bringt. Ryan ist Chief Executive Officer (CEO) des US-Unternehmens „Prudential Financial“ und pflegt sein politisches Umfeld mit Barspenden. Dieses Jahr gab er 4.000 Dollar an einen republikanischen Senator, jeweils 2.000 an zwei demokratische Senatoren sowie den Abgeordneten seiner Heimatstadt New Jersey. Prudential ist einer der größten Finanzdienstleister weltweit und verwaltete 2001 Anlagen im Wert von 590 Milliarden Dollar. Derzeitiger Börsenwert: 22 Milliarden Dollar. Um Steuern auf Gewinne zu sparen, kooperiert Ryans Tochterunternehmen „Prudential Insurance Company of America“ mit Gelsenkirchen in einer US Cross-Border-Lease- (CBL) Transaktion.

Auf der verzweifelten Suche nach Flüssigem entschied der Gelsenkirchener Rat am 3. September 2002, dem US-Finanzriesen 29 Schul- und Verwaltungsgebäude für 99 Jahre zu vermieten. Nach US-Recht wird Prudential dadurch wirtschaftlicher Eigentümer der Immobilien, welche er nun steuersparend, genauer: steuerstundend, abschreiben kann. Für die Öffnung dieses Steuerschlupfloches zeigt Prudential sich erkenntlich und Gelsenkirchens Kämmerer atmet auf, weil etwa 11 Millionen Euro im Haushalt auftauchen. Dass der Stadt der Grundbucheintrag und die Betriebshoheit über die Gebäude bleibt, und dass der Vertrag auf Wunsch der Stadt nach 25 bis 38 Jahren endet, wird in dem umfangreichen Vertragswerk geregelt. Die einzige Bedingung der US-Investoren: Sie wollen anonym bleiben. Bei bekannt werden ihrer Investition könnte die Konkurrenz sonst auf ihre Finanzkraft rückschließen.

Für Gelsenkirchens Kämmerer Rainer Kampmann (CDU) und die Kämmerer der Städte Bochum, Wesel und Recklinghausen sind die Einnahmen aus dem Deal zur Haushaltsentlastung und zum Defizitabbau erforderlich. In Zeiten der finanziellen Not ist die Vertraulichkeitsvereinbarung – immerhin wird öffentlicher Besitz für ein Scheingeschäft benutzt – das geringste Problem. Die wenigsten sind dabei so auskunftsfreudig wie der Amtsleiter der Kämmerei Bochums, Klaus Pohle. Auf Anfrage nannte er den Vertragspartner der Stadt, die First Union Bank, samt ihrem Mutterunternehmen, dem US-Bankenriesen „Wachovia Corporation.“ Neben Bochum trauen neun Millionen hauptsächlich amerikanische Kunden der achtgrößten Bank der Welt. Derzeitiger Börsenwert: 61 Milliarden Dollar.

In Recklinghausen wird der amerikanische Partner „top secret“ behandelt, bestätigt Peter Lassak von der CDU-Regierungsfraktion. Diese Geheimhaltung hat nicht nur zu noch mehr Misstrauen in der Bevölkerung, sondern auch zu einem Gerichtsstreit zwischen einer Fraktion und der Verwaltung geführt. Auch den Stadträten ist der Vertragspartner nie schriftlich genannt worden. Am Tag der Abstimmung über die Transaktion, dem 16. Dezember 2002, teilte Bürgermeister Wolfgang Pantförder (CDU) lediglich mit, der Name des Vertragspartners könne bei Kämmerer Christoph Tesche (parteilos) mündlich erfragt werden. Daraufhin sagte ein Hinterbänkler, dann wüsste man auch, durch wen der Name an die Presse gelangt sei. Die SPD-Fraktion hatte danach kein Interesse mehr, den Namen zu erfahren. „Ich kenne ihn nicht“, sagt ein Stadtrat heute, „es hat keiner gefragt“ ein anderer. „Was bringt es mir, im Nachhinein zu erfahren, wer mir in den Hintern getreten hat?“, kommentiert Horst Menzyk von der Neuen Recklinghäuser Wählergemeinschaft (NRW). ‚NRW‘ hatte bereits erreicht, dass Pantförder die üblicherweise vertrauliche Transaktionsbeschreibung veröffentlichte. Kurz darauf legten die Stadträte im benachbarten Wesel ihre CBL-Pläne auf Eis, „sicherlich auch unter dem Eindruck der kritischen Berichterstattung“, sagt Kämmerer Manfred Busch (Bündnis 90/Die Grünen). Die ‚NRW‘-Fraktion klagt derzeit beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen wegen Verletzung des Informationsanspruchs. Für Christel Dymke von den Grünen ist das „reines Showtheater.“ Sie hatte den Namen schon lange vor der Abstimmung im Rat beim Kämmerer erfragt. Doch die Wählergemeinschaft ‚NRW‘ will mehr: Einsicht in die ihr verwehrten Originalverträge. Grüne und ‚NRW‘ haben gemeinsam gegen CBL gestimmt. Genützt hat es ihnen nichts. Noch während ein Bürgerbegehren lief, unterzeichneten Bürgermeister und Kämmerer am 13. März 2003 in New York die Verträge. Anders als Recklinghausen nannte Gelsenkirchen den Investor in einer vertraulichen Ratsvorlage.

Mittlerweile sorgt eine Gesetzes-initiative für Schlagzeilen. Das Steuerschlupfloch soll geschlossen werden. Arthur F. Ryan, der Chef von Prudential, wird sich freuen: Urheber der Gesetzesinitiative ist ausgerechnet der republikanische Senator Chuck Grassley, dem er dieses Jahr 4.000 Dollar gespendet hat. In Recklinghausen und Gelsenkirchen ist jedoch gut verhandelt worden. Aus beiden Transaktionsbeschreibungen ist klar ersichtlich, dass die US-Seite das Risiko trägt.

Joachim Fritz von der „DaimlerChrysler Services Structured Finance GmbH“ (DEBIS) zufolge ist dieses bei den etwa 60 der rund 200 in Deutschland abgeschlossenen Transaktionen, die die DEBIS arrangiert hat, grundsätzlich der Fall. Zudem sieht Fritz „auf gar keinen Fall“, dass das Steuerschlupfloch geschlossen wird. Grassley Vorschläge seien handwerklich schlecht gemacht und eine Steuererhöhung für Unternehmen. Die DEBIS sieht in den Vorschlägen daher „etwas Gegenläufiges zu den Aussagen der US-Regierung“. Bushs Steuerreform garantiert den Reichen, dass sie noch reicher werden. Genau dieses Ziel verfolgen auch die Investoren und Banken mit CBL. Da die Bush-Politik jedoch auch zu einer Schuldaufnahme in Rekordhöhe geführt hat, wird sich nun zeigen, wie gut Männer wie Ryan ihr politisches Umfeld gepflegt haben.