Ariel Scharon wendet weiter

Die Arbeitspartei regiert wieder mit – und hat so ein neues Problem. Denn der Likud klaut ihre Konzepte zur Palästinapolitik

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Von einer „historischen Wende“ schrieb in Israel die liberale Zeitung Ha’aretz. Regierungschef Ariel Scharon vom konservativen Likud will nicht nur vom Gaza-Streifen sowie dem nördlichen Westjordanland ablassen, Siedlungen auflösen und redet überhaupt von einem Ende der „Besatzung“, damit jenseits der Grenze ein palästinensischer Staat entstehen kann. Scharon hat damit auch komplett Ideen und Konzepte der israelischen Linken übernommen.

Es war Expremierminister Ehud Barak von der Arbeitspartei, der als erster Regierungschef laut über einen Zaun zur Trennung des israelischen vom palästinensischen Territorium nachdachte – wenn gleich mit anderem Verlauf, als beim jetzt verwirklichten. Und das Projekt Gaza-Abzug stammte aus der Feder seines Nachfolgers im Amt des Parteichefs, Amram Mitzna.

So viel Umdenken im Regierungslager stellt die Arbeitspartei nun vor erhebliche Probleme. Die schmerzlichste Konsequenz ist dabei, dass sie dem linken Wähler in der Friedenspolitik heute keine Alternative mehr zu bieten hat. Scharon und damit die gegnerische Partei haben noch dazu die besseren Chancen, diese friedenspolitischen Maßnahmen erfolgreich umzusetzen. Denn Umfragen bestätigen, dass zwar die meisten Israelis raus aus dem Gaza-Streifen wollen. Die Mehrheit würde allerdings nur einen von Scharon befohlenen Abzug befürworten.

Der Einzug der Arbeitspartei in die Regierung unter der Führung Scharons vom Wochenende ist deshalb nur logisch. „Wir sind in der Koalition“, hatte der sozialistische Ministeramtsanwärter Chaim Ramon die zweite Abstimmung des Likud-Zentralrats euphorisch kommentiert, die die Kooperation mit der Arbeitspartei beschloss. Ramon bestätigte, was die israelische Presse zu diesem Zeitpunkt bereits nahezu einstimmig prophezeite: Weder über die Frage der künftigen Ämterverteilung noch an ihren Problemen mit dem gänzlich unsozialistischen Haushalt von Finanzminister Benjamin Netanjahu würde die Arbeitspartei die Verhandlungen mit dem Likud platzen lassen.

Fraktionschefin Dalia Itzik, die ursprünglich die Bedingungen der Koalition aushandelte, war denn auch schon vergangene Woche über ihre Äußerungen, dass der „Likud vor der Arbeitspartei kriecht“, um sie in die Koalition zu kriegen, gestolpert. Das Gegenteil entspricht wohl eher den Tatsachen. Itzik wurde schließlich von ihrem Parteichef Schimon Peres kaltgestellt, der telefonisch die letzten Details mit dem Likud klärte.

So oder so sieht die Führung der Arbeitspartei keinen anderen Weg als das Zusammengehen mit Scharon. Umfragen bestätigen, dass vorgezogene Neuwahlen an dem derzeitigen Kräfteverhältnis in der Knesset kaum etwas verändern würden. Die Arbeitspartei müsste sich ein weiteres Mal mit nur etwa halb so vielen Mandaten zufrieden geben, wie sie der Likud erwarten kann.

Peres’ parteiinterner Gegenspieler hatte sich zunächst von solchen Umfragen allerdings wenig beeindrucken lassen: Ginge es nach Ehud Barak, der vor wenigen Wochen sein politisches Comeback verkündete, würden schon im kommenden Frühjahr Neuwahlen stattfinden. Erst nach wochenlanger Schlammschlacht konnte ein Kompromiss zwischen dem Barak- und dem Peres-Lager gefunden werden. Es bleibt beim Wahltermin 2006, die Arbeitspartei wird ihre Kandidaten erst Ende Juni nächsten 2005 aufstellen. Barak gibt sich optimistisch. In der Arbeitspartei, sagt er, gebe es ja nur zwei passende Persönlichkeiten: „Schimon Peres und mich.“ Peres aber sei ein Loser und außerdem nun schon lange genug am Ruder gewesen.

Doch hier irrt Barak. Schon heute stehen weitere Parteigenossen in den Startlöchern. Sie genießen mindestens so große Sympathien unter den Genossen wie Barak selbst. Zum Beispiel Ami Ayalon, ehemals Chef des inländischen Geheimdienstes Shin Beth. Sein erklärtes Ziel: „Premierminister zu werden.“

Während der Shin-Beth-Mann politisch noch ein relativ unbeschriebenes Blatt ist, hat Barak außerdem während seiner Amtszeit als Premierminister an Popularität vor allem im linken Lager eingebüßt. Und auch die israelische Öffentlichkeit erinnert sich in Sachen Barak nicht mehr so sehr an den Abzug aus dem Libanon im Sommer 2000, der die Lage an Israels Nordgrenze deutlich beruhigte. Sondern eher an die gescheiterten Friedensverhandlungen von Camp David.