Auch die Briten sollen gläsern werden

Das Unterhaus in London stimmt in zweiter Lesung für die Einführung von Personalausweisen mit biometrischen Daten. Das soll dem Antiterrorkampf dienen und Sozialbetrug verhindern. Das Vorhaben kostet 7,9 Milliarden Euro

DUBLIN taz ■ Das britische Volk sehnt sich nach Personalausweisen, glaubt der für Immigration zuständige Staatssekretär Des Browne. Die meisten Unterhausabgeordneten glauben das auch. Vorgestern, am letzten Sitzungstag vor den Weihnachtsferien, stimmten sie mit großer Mehrheit in zweiter Lesung für die Ausweise. Ganz so glatt, wie es sich der neue Innenminister Charles Clarke und Tory-Chef Michael Howard erhofft hatten, ging es jedoch nicht.

Nach einer hitzigen Debatte lehnten 19 Labour-Abgeordnete und zehn Tories das Gesetz ab – ebenso wie sämtliche 55 Liberalen Demokraten. Die ehemalige Tory-Premierministerin Margaret Thatcher stimmte auch dagegen, obwohl sie früher selbst „Fußball-Hooligan-Ausweise“ einführen wollte. Ihr ist Clarkes Gesetzesvorlage zu „germanisch“.

Mit 176 Enthaltungen stellte das Unterhaus einen neuen Rekord auf, fast die Hälfte aller Tory-Parlamentarier blieb der Abstimmung gegen Howards Anordnung fern. Der Tory-Abgeordnete Bill Cash schwenkte George Orwells „1984“ und sagte, die Ausweispflicht werde das Verhältnis der Bürger zum Staat grundlegend verändern.

Clarke behauptete dagegen, dass Ausweise mit biometrischen Daten als einzigartiger Identitätsnachweis viele Vorteile haben, wenn man zum Beispiel ein Bankkonto eröffnet, ins Ausland verreist oder Sozialhilfe beantragt. Vor allem aber – und das erwähnte Clarke nicht – kann man damit die Immigration besser kontrollieren. Howard pflichtete Clarke bei. Er hatte sich, als er selbst Innenminister war, für einen „Anti-Verbrechens-Ausweis“ eingesetzt, wurde im Kabinett aber niedergeschrien.

Die Ausweise werden ab 2008 zunächst auf freiwilliger Basis eingeführt. Später sollen sie jedoch Pflicht werden. Wer das nicht wolle, müsse jetzt dagegen stimmen, sagte Clarke vor dem Votum. Er fügte aber hinzu, dass die Kritiker die Gesetzesvorlage gar nicht gelesen haben. „Ausweise helfen, Terrorismus zu verhindern“, sagte er. „Mehr als ein Drittel aller Terroristen benutzt nämlich eine falsche Identität. Außerdem wird es dank der Ausweise leichter, Menschenhandel zu unterbinden.“ Simon Hughes von den Liberalen meinte dagegen, dass ein Ausweis ziemlich nutzlos sei, wenn man ihn nicht bei sich tragen müsse, sondern eine Woche später auf dem Polizeirevier vorlegen kann.

Das teure Stück Plastik kostet insgesamt umgerechnet 7,9 Milliarden Euro. Das Geld rentiere sich, glaubt die Regierung, weil die Ausweise Betrug bei der Sozialhilfe und bei anderen Leistungen verhindern. Auf den Ausweisen können bis zu 50 Informationen gespeichert werden.

Zunächst sollen die Briten ihre Fingerabdrücke auf den eigens dafür zu schaffenden Meldestellen abgeben und Iris und Gesicht einscannen lassen. Um Bürgerrechtsorganisationen zu beruhigen, versprach Clarke, dass Beamte, die sich Zugang zu Daten verschaffen, die sie nichts angehen, mit einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren rechnen müssen. Das Rechtsgutachten, in dem Experten über die Vereinbarkeit der Ausweise mit den Menschenrechten urteilen, hält Clarke aber vorsichtshalber geheim. RALF SOTSCHECK