Den Geist Gottes hören

JAZZ Vorher und nachher gab es im Jazz nichts Vergleichbares: Das Gesamtwerk des Trios Codona um den US-amerikanischen Trompeter Don Cherry ist wiederveröffentlicht

Codona zelebriert das Spielerische im Umgang mit dem Material auf hohem improvisatorischen Niveau

VON CHRISTIAN BROECKING

Diese Musik ist wie ein langsamer Blues in der Steppe. Groß und widersprüchlich, etwas vorlaut und manchmal störrisch. Archaisch, entrückt, weit entfernt von den gewohnten Klängen. Und eingebettet in eine Umgebung, die am besten als leise charakterisiert werden könnte. Auch fast 30 Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung wirken die Klänge seltsam zart; dass es vor und nach dem Projekt Codona im Jazz nichts Vergleichbares gab, wird mit der Wiederveröffentlichung des Gesamtwerks wieder deutlich: „The Codona Trilogy“ vereint nun alle zwischen 1978 und 1982 entstandenen Aufnahmen von Nana Vasconcelos, Don Cherry und Collin Walcott in einer unscheinbaren weißen Drei-CD-Box. Ihr Bandname leitete sich aus den Vornamen der drei Musiker ab.

Der brasilianische Perkussionist Nana Vasconcelos empfand die Alltagskulisse seiner Heimat derart musikalisch durchdrungen, dass er selbst die Atmosphäre eines Straßencafes als Klang wahrnahm. „Que Faser“ ist eine Codona-Komposition aus der Feder des Brasilianers, in der er Vogelstimmen, Flügelschlagen und Wolkenbrüche – akustische Eindrücke aus der brasilianischen Natur – in Klänge umgesetzt hatte. Der Bandleader Don Cherry sagte, Codona würde grundsätzlich natürliche Musik machen, egal ob sein Trio in einer Konzerthalle, auf der Straße, in einem Tempel oder auf einer Bergspitze spiele.

Als Trompeter war Cherry in den Bebop-Combos von Ornette Coleman und Sonny Rollins der Fünfziger- und Sechzigerjahre groß geworden und hatte dabei erfahren, dass es genuine Jazzmusiker auf ganz besondere Weise verstehen, spirituelle Tiefe auszudrücken. Als er in Europa dann den Saxofonisten Albert Ayler kennenlernte, meinte er gar aus dessen Spiel den Geist Gottes zu hören. Don Cherry pendelte zwischen den USA und Europa hin und her, bereiste die Welt, machte vor allem in Afrika und Asien Station und ließ sich musikalisch inspirieren; von südamerikanischen Traditionen, oder von arabischen. Cherry sei das musikalische Gedächtnis der Welt, er könne beliebige Idiome zu Klängen verwandeln, hatte sein Kollege, der Vibraphonist Karl Berger einmal über ihn gesagt.

Cherrys Komposition „Malinye“ symbolisiert melodische Verzauberung, im bluesbetonten „Clicky Clacky“ spielt Cherry Kazoo. Das Spielerische im Umgang mit dem Material zelebrieren die drei Codona-Musiker auf einem hohen improvisatorischen Niveau. Man wollte offen sein für die verschiedensten Klänge und sie gebrauchen, in neue Zusammenhänge integrieren, mit ihnen experimentieren, sie verändern. Die Ermutigung, sich um das Überleben der jeweiligen musikalischen Traditionen zu kümmern, war den Musikern dabei wichtig.

In den frühen Siebzigerjahren war Cherry mit seiner Familie auch als „Organic Music Theatre“ in einem Kleinbus durch Europa gereist, bevor sie sich in Südschweden niederließen, noch zu Zeiten des Vietnamkriegs. Cherry hatte es aus politischen und ethischen Gründen nicht mehr zu Hause ausgehalten. Außerdem wollte er lernen, in der Natur zu leben. Davon hatte er schon lange geträumt: Tiere um sich zu haben, Holz im Kamin und einen Garten, in dem er die Nahrung pflanzt und erntet. In Schweden erkundete Cherry seine indianischen Wurzeln, er wollte, dass seine Kinder anders aufwachsen als er, sie mit Geduld und Respekt erziehen. Auf musikalischer Ebene war der Jazz für Cherry die ästhetische Haltung, mit der er die verschiedenen Einflüsse kombinierte.

Der Sitar- und Tabla-Spieler Collin Walcott arrangierte den afrikanischen Traditional „Godumaduma“ für das Trio wie eine Steve-Reich-Komposition. In dem Stück „Colemanwonder“ interpretierte das Trio Kompositionen von Stevie Wonder und Ornette Coleman mit Taschentrompete, Talking Drum und Sitar.

Walcott kam 1984 nach einem Konzert in Berlin auf der Transitstrecke durch die DDR bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Cherry starb 1995 im Haus seiner Stieftochter Neneh. „Wir sitzen da und schauen zu, wie die Musik geschieht“, hatte Walcott einst beschrieben, was sich heute anhört wie ein große einsame Melodie, die aus der Stille dringt.

■ Don Cherry, Nana Vasconcelos, Collin Walcott: „The Codona Trilogy“ (ECM)