Es kann nur einen geben

DAS TITELRENNEN Denkbar spannend ist das Finale der Bundesliga. Die taz analysiert, wie die Chancen für Wolfsburg, Stuttgart, München und Berlin stehen, Meister zu werden

Seit dem 26. Spieltag steht der VfL Wolfsburg an der Spitze und erfüllt damit die wichtigste Voraussetzung, um Meister zu werden: Konstanz. Kein anderer Verein stand in der Rückrunde länger an der Spitze als die Mannschaft von Felix Magath. Dieser hat mit ebenso einzigartiger wie vorbildlicher Machtfülle innerhalb von zwei Jahren eine Mannschaft geformt, die reif ist für den Titel. Allen voran die beiden Torjäger Grafite und Edin Dzeko, das mit Abstand erfolgreichste Sturm-Duo der Liga. Einzig die vier gelben Karten, die beide auf dem Konto haben, könnten ihnen noch zum Verhängnis werden.

Aber auch hinter den beiden Angreifern stehen Klassespieler. Mittelfeld Regisseur Zvjezdan Misimovic ist unter Magath der endgültige Durchbruch gelungen. Sein Potenzial stand nie infrage, doch wurden ihm mangelnde Schnelligkeit und Zweikampfstärke unterstellt. So spielte er vorher bei Nürnberg und Bochum, nun will er Meister werden. Ashkan Dejagah, Mitglied der viel zitierten Berliner Gang um die Boateng-Brüder, ist ebenso ein junger Leistungsträger wie Marcel Schäfer und Sascha Riether. Sorgen um die Zukunft muss sich der Klubvorstand nicht machen. Problematisch war nur die Verkündung von Magaths Abschied zu „einem unglücklichen Zeitpunkt“, wie er selbst einräumte. In der Mannschaft keimte kurz Nervosität auf.

Prompt ging das anschließende Spiel gegen den Titelkonkurrenten Stuttgart mit 4:1 verloren. Doch Magath gelang es, die Mannschaft zusammenzuschweißen. Nach dem überzeugenden 3:0-Triumph über Borussia Dortmund am Dienstag ist keine Rede mehr von Unruhe. „Es geht für uns nur darum, jetzt maximalen Erfolg zu haben. Gemeinsam!“, gab Marcel Schäfer die Stimmung im Team wieder. Was spricht nun noch gegen die erste Wolfsburger Meisterschaft? Überhaupt nichts. In den kommenden beiden Nordderbys gegen Hannover und Bremen sollte nichts mehr anbrennen. MILAN JAEGER

Stuttgart ist als Tabellenzehnter in die Rückrunde gestartet, einen Platz und einen Punkt hinter dem VW-Klub. Nach der Winterpause haben die Schwaben nur einen Punkt weniger geholt als die Wolfsburger. Und bei allem Lob, das dem phänomenalen Sturm-Duo der Wolfsburger entgegengebracht wird, die Stuttgarter mit Sturm-Uno Mario Gomez haben nach der Winterpause 34 Tore geschossen, nur ein Tor weniger als der Tabellenführer. Stuttgart ist Weggefährte und Jäger des Ersten.

Und dabei präsentieren sie sich variabler als die Konkurrenz. Ob Berufseinsteiger Markus Babbel wirklich ein guter Trainer ist, muss sich erst weisen. Dass er ein Coach mit einem ausgeprägten Gespür fürs Spiel ist, hat er schon bewiesen. Da ist etwa der 20-jährige Timo Gebhart. Den hat der VfB im Winter von 1860 München geholt. Er ist einer der seltenen Kicker, die das schnelle Direktspiel nach vorne internalisiert haben. Ein fertiger Spieler ist er jedoch noch lange nicht. Wenn Babbel sieht, dass Gebhart der offensive Mann im Mittelfeld zu wenig nach hinten arbeitet, wechselt er ihn aus. Die Mannschaft stellt dann um auf einen defensiven Ansatz. Den beherrscht sie nicht schlechter als den offensiven.

Der VfB ist noch nicht so weit, dass er ein Spiel dominieren, einen eigenen Stil durchsetzen kann. Die Stuttgarter reagieren. Weil sie wissen, dass sie das können, präsentieren sie sich im Endspurt beinahe schon gelassen. Mario Gomez, der Aduktorenprobleme hat, für das Spiel bei Schlake fit zu spritzen, das wollte Babbel nicht. Gegen Cottbus wird der Stürmer eventuell auch nicht gebraucht. Fit soll er im Finale sein. Und das letzte Spiel, das bei den Bayern steigt, es könnte ein echtes Endspiel um den Titel werden.

Stress an der Tabellenspitze der Fußball-Bundesliga kennen die Stuttgarter. Für gewöhnlich zerbrechen sie nicht daran. 1984, 1992 und 2007 wurde Stuttgart Meister. Zwei Spieltage vor Schluss war in keinem dieser Jahre irgendetwas entschieden. Cool Swabia! ANDREAS RÜTTENAUER

Das Ende der Experimente bedeutete den Anfang des Aufschwungs. Der FC Bayern hat seine Selbstfindungsphase beendet, Klinsmann ist weg und die Zuversicht da. An der Säbener Straße ist man zu den Wurzeln zurückgekehrt, hat sich darauf besonnen, dass Fußballer mit Visionen eher nach Haar bei München gehören als auf den Platz – wie schon der große Philosoph H. Schmidt andeutete. Der gemeine Kicker mag es im Grunde einfach, gerade heraus, und eine knorrige Autorität ist auch nicht schlecht, um die Raubeine zu zivilisieren. Das kann künftig der Niederländer van Gaal machen, mit dem die Bayernbosse den Prozess der Rückbesinnung auf alte bajuwarische Werte fortführen werden.

Allein, dass der Luftikus aus dem Ländle sein Blendwerk beenden musste, hat den mehrmaligen Meister belebt. Sie haben sich nach der unglücklichen Ära Klinsmann, nach diesem veritablen Missverständnis, kurz schütteln müssen, doch nun streben Ribery, Podolski und Co. mit Vehemenz zum Titel. Die Bayern haben neben Wolfsburg die besten Aussichten, in der Tordifferenz müssen sie noch ein bisschen aufholen, aber das ist in der aktuellen Verfassung bestimmt ein Klacks für die Wiedererweckten.

Am Ende werden sie wohl trunken und singend auf dem Rathausbalkon stehen und Uli Hoeneß, der mittlerweile – kein Witz – in die Ruhmeshalle des deutschen Sports aufgerückt ist, wird doppelt stolz sein auf die Meisterschaft, denn sie haben die Schale trotz Klinsmann gewonnen. Dieser Klub ist einfach nicht kaputtzukriegen.

Mit Jupp und Juchhe wird der deutsche Branchenprimus in acht Tagen aufs Podium steigen. Und was unter der Saison passiert ist, das wird zu einer Fußnote in der Fußballgeschichte der Roten verkommen. Wer interessiert sich schon fürs Kleingedruckte, wenn einem bald fette Schlagzeilen serviert werden: „Bayern mit Bumms zum Titel“ zum Beispiel. Wer hätte das noch vor ein paar Wochen gedacht.

MARKUS VÖLKER

Wenn Kapitän Arne Friedrich am 23. Mai in Karlsruhe die deutsche Meisterschale überreicht bekäme, würde mit Hertha gewiss der wunderlichste der wunderlichen Titelkandidaten geehrt werden. Aber genau das ist womöglich die große Chance für die Berliner. „Die Rolle des Underdogs liegt uns“, sagt Manager Dieter Hoeneß. Die Geringschätzung der anderen wirkt für Hertha über die ganze Spielzeit schon wie eine zusätzliche Treibstoffreserve, die das Team im Rennen vorn hält.

Was die einschlägigen Experten als Herthas Schwäche ausgemacht haben, hat Trainer Lucien Favre, einem Magier gleich, in Stärken verwandelt. Zwar fehlen der Mannschaft Ausnahmekönner, dafür hat der kollektive Zusammenhalt jeden Spieler ersetzbar gemacht.

Dass die Hauptstadtelf nicht imstande ist, ein Abwehrbollwerk munter zu durchbrechen, wie man das vielleicht von einem Meister erwarten könnte, wird dem Team auch in den letzten beiden Spielen nicht zum Nachteil gereichen. Die schlauen Herthaner verzichten auf dem Rasen auf die herrschsüchtige Attitüde eines Möchtegernprimus. Mit Geduld und strategischem Geschick werden sie wahrscheinlich auch am letzten Spieltag zu Werke gehen.

Wie ein Embryo hat sich die Hertha in den letzten neun Monaten entwickelt. Der Geburtstermin war von den Vereinsverantwortlichen erst für nächstes Jahr errechnet worden. Verblüffend ist auch, wie gut schon das Nervensystem ausgebildet ist. Mehrmals hat das Team großen Drucksituationen standgehalten. Da die Berliner seit Dienstag für die Europa-League qualifiziert sind, können sie auch theoretisch nicht mehr von möglichen Versagensängsten gequält werden. Hertha kann nur noch gewinnen. Entweder einen Champions-League-Platz oder sie machen das Unmögliche möglich. Eine Gelegenheit, die keiner so einmalig empfinden dürfte wie die Hertha-Profis. Ihre bislang unwahrscheinliche Kraft könnte zur Kraft des Unwahrscheinlichen werden.

JOHANNES KOPP