Auch die Waffen sind weggespült

Indonesiens Regierung öffnet Kriegsprovinz Aceh für Hilfswerke. Rebellen und Armee verkünden Waffenpause

BANGKOK taz ■ Durch die Flutkatastrophe im Indischen Ozean sind offenbar allein in Indonesien mindestens 21.000 Menschen ums Leben gekommen. Das hat gestern das Sozialministerium in Jakarta erklärt. Die meisten Toten gab es auf Sumatra. An der Nordwestspitze der Insel, in der Provinz Aceh, stehen noch immer ganze Landstriche unter Wasser, Städte sind zum größten Teil zerstört. Von der Stadt Meulaboh an der Westküste Sumatras soll kaum noch etwas übrig sein. In der ganzen Provinz wird mit bis zu zehntausend Toten gerechnet. Massen von Schlamm erschweren den Helfern noch immer den Zugang in viele Teile der Region. Sauberes Trinkwasser und Lebensmittel sind meist nicht mehr vorhanden, es droht Seuchengefahr. Außerdem fehlt es an Ärzten, Medikamenten und Betreuung der Traumatisierten.

In den Straßen von Banda Aceh, der Provinzhauptstadt, stapeln sich die Körper der Toten, der Leichengeruch macht das Atmen kaum möglich. Vor den wenigen geöffneten Geschäften stehen verängstigte und verärgerte Menschen Schlange. Die Läden werden von Soldaten bewacht. „Wo ist die Hilfe? Da ist nichts. Die ganze Regierung schläft“, schimpft der 28-jährige Mirza. Doch das Ende der katastrophalen Lage scheint noch nicht absehbar: Indonesiens Vizepräsident Jusuf Kalla geht mittlerweile davon aus, dass am Ende bis zu 25.000 Tote auf Sumatra gezählt werden.

Der Tsunami hat neues Unheil über Aceh gebracht. Die Provinz ist seit 1976 Schauplatz separatistischer Konflikte: Bei den Auseinandersetzungen zwischen den Rebellen der Bewegung Freies Aceh (GAM) und indonesischen Militärs sind mehr als 12.000 Menschen ums Leben gekommen. Im Mai 2003 verhängte die damalige Präsidentin Megawati Sukarnoputri das Kriegsrecht über Aceh. Internationalen Hilfsorganisationen, Menschenrechtlern und ausländischen Journalisten ist seitdem der Zutritt zur Unruheprovinz verwehrt. Zwar ist das Kriegsrecht seit etwa einem halben Jahr aufgehoben und durch einen Zivilnotstand ersetzt worden. Faktisch aber bestand die Bürgerkriegslage weiter. Erst heute soll es ausländischen Hilfsorganisationen und Journalisten nach Angaben des Wohlfahrtsministeriums erlaubt sein, Aceh zu betreten.

Die jüngste Naturkatastrophe hat beide Konfliktparteien zum Einhalten gebracht. Sowohl Indonesiens Militärchef Endriartono Sutarto als auch führende Mitglieder der Rebellen plädierten gestern überraschend für eine Waffenpause, um die Suche nach Vermissten nicht zu gefährden. Armee wie Separatisten müssen mit vielen Opfern unter den eigenen Waffenträgern rechnen. Der Bürgerkrieg tobte zuletzt vor allem an den Küsten Acehs. Ganze Armee-Bataillone waren in Ufernähe stationiert. Die Militärs, sonst eher berüchtigt für ihre Menschenrechtsverletzungen, haben unterdessen Ausrüstung und Personal für Hilfsaktionen zur Verfügung gestellt. Ein Rebellensprecher sagte der Zeitung Jakarta Post, seine Leute würden nicht auf Soldaten schießen, die Hilfe leisteten. Die Polizei in Jakarta kündigte an, zusätzlich mehr als eintausend Beamte in die Region zu schicken.

Politische Beobachter plädieren dafür, die Lage für eine nationale Aussöhnung zu nutzen: Dass Präsident Susilo Bambang Yudhoyono die Situation vor Ort besichtigt, die Unruheprovinz zum nationalen Notfall erklärt und um Unterstützung gebeten habe, sei bereits ein erster richtiger Schritt, sagt Hasballah Saad, Acehnese und ehemaliger Menschenrechtsminister Indonesiens. „Dieses Desaster schafft einen Moment, den der Präsident nutzen kann, um all die Jahre von Misstrauen und Bitterkeit zu beenden.“ NICOLA GLASS