Der Freiheitsliebende

taz-Serie „Arbeit ist das halbe Leben“ (Teil 4): Christoph Schröter lebt mit Familie und Freunden auf einem Gehöft. Der Übergang zwischen Arbeit und Freizeit verläuft für den Holzrestaurator fließend

von ULRIKE LINZER

Mit einem Korb voll Holzscheiten im Arm kommt Christoph Schröter in die Wohnküche, zum Heizen und zum zweiten Frühstück. Seine Haare und Kleidung sind von Spänen bestreut: Er hat seit früh morgens in seiner Werkstatt gearbeitet und Kiefern- und Erlenstämme entrindet. Es ist ein Uhr Mittags nahe der polnischen Grenze: Um den antiken Esstisch sammelt sich die Breslacker Gruppe, eine Restauratoren- und Künstlerkommune. Zu ihr gehören drei Männer und drei Frauen, alle sind zwischen Mitte und Ende 30.

Seit acht Jahren lebt Christoph mit seiner Frau Dorothee und den sechs- und dreijährigen Söhnen im ausgebauten Dachboden des Bauerngehöfts in Breslack, 20 Kilometer südlich von Eisenhüttenstadt. Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit ist für Christoph fließend. Seine Familie, sein Holz, seine Freiheit sind ihm wichtig. Die meiste Zeit restauriert und baut er für das Bauernhaus, in dem er mit seiner Familie lebt – zusammen mit zwei weiteren Paaren, Ziegen, Gänsen, Katzen und einem Hund.

Der 34-Jährige hat einen Minijob in der Firma seiner Frau. Dorothee ist freiberufliche Restauratorin, arbeitet auf Baustellen oder in der Werkstatt im Hof. „Gerechnet an dem, was wir verdienen, leben wir hier unter dem Existenzminimum“, erzählt der gebürtige Dresdner. Aber die Lebenshaltungskosten seien sehr niedrig: Die Bewohner zahlen keine Miete, nur Betriebskosten, denn einer der Künstler hat das Gehöft geerbt. Und die Lebensqualität sei sehr hoch. „Wir haben viel Platz, wohnen mit guten Freunden zusammen, und jeder kann seine Arbeit selbst bestimmen.“ Er brauche aber immer Rückzugsmöglichkeiten. Auch weil Dorothee und er viel Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen.

Das ist gar nicht immer leicht, denn seine Frau betreibt zudem noch eine Gastwirtschaft. Die Breslacker Gruppe hat vor fünf Jahren eher zufällig im Nachbarort ein Gasthaus günstig erworben, um das seit der Wende leer stehende Gebäude vor dem Verfall zu retten. Zu siebt haben sie die „Kajüte“, so der Name des Restaurants aus dem 19. Jahrhundert, fast komplett selbst restauriert, das Dach gedeckt und das DDR-Inventar herausgerissen. Christoph hat alle Holzarbeiten gemacht, Fenster, Türen und Böden erneuert. Im November 2002 wurde die „Kajüte“ wieder eröffnet; seitdem bewirtschaften Dorothee und Mitbewohnerin Susanne vier Tage pro Woche die Gaststätte. Im Tanzsaal organisiert die Gruppe manchmal Feste, Kino und Konzerte.

Bei Christoph dreht sich alles ums Holz. Schon als Kind war er „immer mit der Laubsäge unterwegs“. In der DDR gab es nicht genügend Lehrstellen für Tischler. Deshalb hat er eine Ausbildung als Holzmodellbauer gemacht, später in Guatemala und Costa Rica in Holzwerkstätten gejobbt. Zurück in Dresden hat er in einer Tischlerei gearbeitet und begonnen, alte Möbel zu restaurieren. Ihm ist es „ein inneres Bedürfnis, Dinge zu erhalten. Es fliegt immer alles weg, obwohl das Material noch gut weiter zu verwenden wäre.“

Nach dem Restaurierungsstudium an der Fachhochschule in Berlin zogen Dorothee und er zu der Breslacker Gruppe. Hier zu leben und zu arbeiten, sagt er, gebe ihm Raum und Möglichkeit, sich zu entfalten. „In der Stadt müsste ich die ganze Zeit rackern, nur um gerade genug für Wohnung und Werkstatt zu verdienen. Hier arbeite ich viel, mache immer etwas, aber ohne Geld verdienen zu müssen. Das schafft Freiheit.“

Er ist den ganzen Tag beschäftigt – im Haus, in seiner Werkstatt, draußen. Die Scheune liegt voller Holz. Er fängt gerade an, einen Zaun zu bauen. „Wegen der Rehe: Die fressen sonst die neu gepflanzten Bäume an.“ Christoph führt stolz durch seine Baumschule. Vor zwei Jahren hat er das kleine sumpfige Areal auf ihrem Grundstück eingezäunt und rund 100 Bäume gesetzt. Gerne würde er das angrenzende Wiesengrundstück pachten und einen eigenen Wald anlegen. Bisher pflanzt er nämlich heimlich: Weil es in der Gegend nur Monokulturen gebe, will Christoph die Kiefernschonungen auflockern und setzt an den Waldrändern Eichen, Ulmen und Pappeln. „Illegales Bäumepflanzen sozusagen.“ Lange Zeit habe er gegen das Bäumefällen gekämpft. Aber der langwierigen und meist erfolglosen Protestaktionen sei er überdrüssig. „Nervige Telefonaktionen und Briefeschreiberei liegen mir nicht. Ich bin eher der Praktiker.“

Aber Christoph ist nicht nur mit Bäumepflanzen, Zäunebauen und Restaurierungsarbeiten beschäftigt. Er legt auch großen Wert auf Freizeitaktivitäten – Paddeln, Klettern und Reisen. Die Winter in dem 400-Seelen-Dorf an der Neiße sind ihm zu lang und trüb. „Ab und zu muss ich hier weg. Immer nur auf dem Land – da verkümmert man.“ Die Familie fährt oft für ein Wochenende nach Dresden oder versucht, preiswert eine längere Reise zu machen. Vergangenen Winter war er mit Kind und Kegel zwei Monate auf Kuba unterwegs, mit dem Fahrrad. Vor drei Jahren haben sie sogar in in Mexiko überwintert – und eine Grabkammer aus dem fünften Jahrhundert restauriert.