„Wir bissen die Zähne zusammen“

ALTERSMEDITATIONEN „Rebus“ heißt der neue Band mit Gedichten von Hans Magnus Enzensberger – eine lächelnde Mattigkeit grundiert alles

Sein Vater wurde 88 Jahre alt, seine Mutter gar 103. Und der bald 80-jährige Hans Magnus Enzensberger selbst macht einen derart quicklebendigen Eindruck, dass das Wort „Alterswerk“ bei ihm seltsam anmutet. Doch Vergänglichkeit weht heftig durch seine neuen Gedichte. „Es sei nie zu spät, heißt es“ heißt eines, das dann doch mit einem nüchternen „zu spät“ endet. Altersmeditationen sind ein ehrwürdiges Genre; in diesem Band trifft man überall auf entsprechendes Material. „Man mogelt, man flickt. / Besser als gar nichts“, diagnostiziert das lyrische Ich, und in der „Inventur“ heißt es: „Nur manchmal / hatte er alles satt.“ Es ist Zeit für selbstironische Bilanzen, die auch das einst heftig bekämpfte „System“ miteinbezieht: „Wir hatten keine Ahnung, / waren viel zu dumm, / um es zu verstehen, / und viel zu intelligent, / um ihm zu entkommen.“

Enzensbergers inszenierte Distanziertheit hätte mehr Feuer gut vertragen. Zu exzessiv tarnt er die Gefühle hinter gewohnt präzisen Beobachtungen. Die Leiden des Alters sind alle da, doch sie kommen zu kultiviert daher, als dass die Gedichte tatsächlich altersweise sind. Eine skeptisch lächelnde Mattigkeit grundiert alles, weich und milde im Tonfall. In „Das waren Zeiten“ klingt selbst ein „Aber wir bissen die Zähne zusammen / und hielten durch“ seltsam kühl. Eine große, abschließende Dichtergeste ist der Band also nicht geworden – was der späte Enzensberger genau so gewollt haben dürfte. Er bleibt sich treu: keine Eindeutigkeiten, sondern ein leichtfüßiges Verschwinden von der Bühne, im Gefühl: „Gebenedeit / sei die Nichtigkeit.“ ALEXANDER CAMMANN

■ Hans Magnus Enzensberger: „Rebus“. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2009, 120 S., 19,80 €