Die Retter versinken im Chaos

Auf Aceh beginnt die Hilfe für die Flutopfer nur schleppend. Es fehlt an Infrastruktur. Außerdem erschüttern weiter Beben den Norden Indonesiens

Seit vorgestern Abend haben mehrere Nachbeben der Stärke 5 den Nordteil der indonesischen Insel Sumatra erschüttert. Geologen in Indonesien warnten jedoch vor unnötiger Panik in den südost- und südasiatischen Staaten aus Angst vor neuen Tsumanis. „Sie wären schon angekommen, wenn es sie gegeben hätte. Die Beben waren dafür zu schwach“, sagten Vertreter indonesischer Messstationen gestern der Zeitung Jakarta Post. Unterdessen berichten Helfer, dass Überlebende noch immer versuchen, sich in höher gelegene Regionen zu retten.

Über neue Zerstörungen im Erdbebengebiet ist nichts bekannt. An der Nordspitze von Sumatra, in der am meisten betroffenen Provinz Aceh, steht ohnehin fast kein Stein mehr auf dem anderen. In der Provinzhauptstadt Banda Aceh spielen sich seit Tagen chaotische Szenen ab. Flugzeuge mit Hilfsgütern können nicht landen, weil andere Maschinen das Flugfeld versperren. Leichen werden mit Bulldozern in Massengräber geschaufelt. Für eine Identifizierung, sofern nach fünf Tagen überhaupt noch möglich, bleibt keine Zeit. Offiziell ist inzwischen von 52.000 Toten die Rede, 9.000 allein in Banda Aceh. Eine halbe Million Menschen soll verletzt sein. Augenzeugen erzählen von Betroffenen, die verloren in den Straßen umherirren auf der Suche nach ihren Angehörigen. Einige säßen noch immer, dem Wahnsinn nahe, hysterisch lachend auf den Bäumen, auf die sie sich gerettet haben. Es fehlt an allem: Trinkwasser, Nahrung, Kleidung, Sanitäranlagen und Benzin. Gestern kam es zu ersten Festnahmen von Hungernden, die versuchten, die Reste der Märkte zu plündern.

Zwar ist die Solidarität der Indonesier überwältigend. Tausende haben sich freiwillig gemeldet, zu helfen. Doch es fehlt vor allem an einer effektiven Koordinierung der Hilfskräfte, zumal die Behörden in Aceh selbst viele Mitarbeiter verloren haben. Acht Polizeikasernen in der Region wurden dem Erdboden gleichgemacht, 7.000 ihrer Bewohner werden vermisst. Straßen sind unbefahrbar, Telefonleitungen tot. „Wir bekommen zwar genügend Hilfen aus dem In- und Ausland“, sagt Rusdi Marpaung, Koordinator der Aceh Working Group, einem NGO-Zusammenschluss. „Aber wie die Hilfen ihr Ziel erreichen sollen, ist noch völlig unklar. Die Regierung reagiert nicht ausreichend.“

Was die Bürgerkriegsprovinz Aceh betrifft, kommt auch die Zentralregierung an einem entscheidenden Akteur nicht vorbei: dem Militär. Es kontrolliert das Gebiet, seit im Mai 2003 das Kriegsrecht ausgerufen wurde. Seitdem war es ausländischen Hilfsorganisationen verboten, den zahlreichen zivilen Opfern des Konflikts zu helfen. Neben den Zerstörungen durch das Beben fehlt es auch aus diesem Grund an der für die Nothilfe nötigen Infrastruktur. „Niemand kann in Aceh das Militär ignorieren“, sagt Hendra Pasuhuk zur taz. Der Redakteur des Indonesien-Programms der Deutschen Welle beobachtet den Konflikt seit Jahren. So lange es Gerangel darum gebe, wer Landeerlaubnisse erteile und strategische Punkte kontrolliere, sei dem Chaos nicht Herr zu werden.

Nachdem in den ersten Tagen nach dem Beben ganze Teams auf die Erlaubnis zur Einreise nach Aceh warteten, sind die Behörden inzwischen zu einer unbürokratischeren Vorgehensweise gewechselt: Ausländischen Helfern und Journalisten werden bei der Ankunft in Aceh Visa ausgestellt. Das UN-Büro zur Koordinierung von Nothilfe (OCHA) baut in der Provinz ein Krisenzentrum auf. Ein Team des technischen Hilfswerkes sondiert vor Ort die Lage. Wie Petra Meyer, Sprecherin von Ärzte ohne Grenzen, der taz sagte, sei ein achtköpfiges Hilfsteam der Organisation bereits in Banda Aceh. Dreieinhalb Tonnen Hilfsgüter zur medizinischen Grundversorgung seien verteilt, weitere 50 Tonnen und medizinisches Personal sei unterwegs.

Die Berichte der Helfer sind nicht ermutigend. 60 Prozent von Banda Aceh seien zerstört, die Straßen immer noch voller Leichen, die Überlebenden versuchten, sich ins Umland zu retten, so Petra Meyer: „Die Leute stehen sehr unter Druck, Trinkwasser und Nahrung sind knapp.“ Dazu wächst die Angst vor Malaria und Dengue-Fieber. Weil Teile der Provinz immer noch unzugänglich sind, kann noch niemand das wirkliche Ausmaß der Katastrophe in Aceh ermessen. ANNETT KELLER