Starke Männer bringen Chaos

Die Ukraine ist eine Insel von Freiheit und Demokratie, vergleicht man sie mit anderen Ländern der ehemaligen Sowjetunion, wo Wahlen zur absoluten Farce verkommen sind

MOSKAU taz ■ „Ich war immer prorussisch“, sagt eine junge Ukrainerin auf dem Weg von Moskau nach Kiew. „Doch heute, was in Russland passiert, ist eine Katastrophe für die Zukunft des Landes.“ Während in der Ukraine Zehntausende, Hunderttausende für freie Wahlen demonstriert haben, hat der Kreml die Volkswahl der Gouverneure abgeschafft. Derzeit wird über ein neues Gesetz zur Duma-Wahl beraten, gemäß dem die Abgeordneten künftig nur noch über Parteilisten gewählt werden. Die Parteien müssen sich unter strengeren Auflagen neu registrieren lassen, und manche Analysten fürchten, dass einzig die Kremlpartei Vereintes Russland und die Kommunisten übrig bleiben werden.

Dagegen macht sich die Ukraine in der Tat wie ein Hort der Demokratie aus. Allein der Umstand, dass vom Regime inszenierte Wahlmanipulationen auf breiten Widerstand des Volkes gestoßen sind, ist eine Ungeheuerlichkeit für Russland, aber auch für die anderen Länder der ehemaligen Sowjetunion (GUS), die alle an mehr und minder ausgeprägtem Autoritarismus leiden. Es sei absolut unzulässig, dass Demokratie als Schutzschild für eine Machtübernahme benutzt werde, schimpft etwa der usbekische Präsident Islam Karimow über den Machtwechsel in der Ukraine.

Er hat am 26. Dezember ebenfalls Wahlen abhalten lassen: Mit fünf Parteien, mehr als 500 Kandidaten – und genau vorgefertigten Resultaten. Oppositionsparteien waren nicht zugelassen. Dem Volk ist das Parlament, das neben Karimow nichts zu sagen hat, herzlich egal. Und jene, die sich wehren wollen, leben in Usbekistan gefährlich: Rund 6.000 politische Gefangen hat das Land laut internationalen Beobachtern, Folter wird systematisch angewandt.

Dieses Jahr hat es in Usbekistan mehrere Bombenattentate gegeben, die Täter sollen Islamisten gewesen sein. Vielleicht. Doch mit der usbekischen Wirtschaft geht es seit Jahren nur noch bergab: Das Einkommen der Menschen sinkt mit jedem Jahr. Nun hat das Regime auch noch strikte Kontrollen über private Händler eingeführt, was vielen die Existenzgrundlage raubt in einem Land, wo der Handel fast die einzige Chance auf ein Einkommen ist.

Die verzweifelten Menschen unterstützen inzwischen jede Gruppierung, die gegen das Regime arbeitet, auch wenn die meisten Usbeken vom radikalen Islam wenig halten. Deshalb sehen viele hinter den gewaltsamen Zusammenstößen in Usbekistan weniger eine Attacke islamistischer Extremisten als eine Revolte der Bevölkerung gegen ein gänzlich unfähiges und korruptes System.

Noch einen Schritt weiter auf dem Weg zum Totalitarismus ist Turkmenistan. In dem abgeschotteten Land mussten die Wahlurnen den Menschen vorletzte Woche nach Hause gebracht werden, um sie für den gänzlich unnützen Urnengang zu motivieren. Der turkmenische Präsident Saparmurad Nijasow, der sich sein Land in jeder Hinsicht untertan gemacht hat, hat inzwischen jeden Bezug zur Realität verloren. Turkmenistan ächzt unter einem alles erstickenden Persönlichkeitskult, der alle Sphären des Lebens gleichschaltet. Nijasow-Statuen sind aus Gold, und wer in Turkmenistan einen Führerschein erwerben will, geht nicht in die Verkehrsschule, sondern wird in der turkmenischen „Bibel“ unterrichtetet, dem nationalistisch, pseudoreligiösem „Ruchnama“, den Nijasow persönlich verfasst hat. Der allmächtige Präsident baut in dem Wüstenstaat seinem Volk einen Eispalast und seinem Pferd ein Schwimmbad. Selbstverständlich ist der Turkmenbaschi, der Herr aller Turkmenen, Präsident auf Lebzeiten, hat sämtliche politische Opposition ausgeschaltet und säubert in stalinistischer Manier auch regelmäßig die eigenen Reihen.

Doch selbst der 65-jährige Nijasow lebt nicht ewig – obwohl er selbst vielleicht vom Gegenteil überzeugt ist. Spätestens nach seinem Abgang droht Turkmenistan in eine Anarchie der alten, noch immer präsenten Clans zu verfallen. Und auch in Usbekistan sind die Perspektiven für das Regime nicht rosig: Islam Karimow ist krank und könnte schon bald die Macht abgeben müssen, ein fähiger Nachfolger ist nicht in Sicht. Manche fürchten deshalb, dass es in Usbekistan schon bald zu einem gewaltsamen Aufstand gegen die politische, wirtschaftliche und soziale Katastrophe kommen könnte. Und dann werden auch jene westlichen Politiker einsehen müssen, welche die Autokraten im Osten heute noch schätzen, dass die starken Männer der ehemaligen Sowjetunion ihre Länder nicht zu Stabilität und Wohlstand führen, sondern zu Armut und Chaos.

ZITA AFFENTRANGER