Wenig Platz für Optimismus

Der Sozialdienst katholischer Frauen organisiert die Straffälligenhilfe für rund 250 Frauen, die in der JVA Ossendorf inhaftiert sind. Ehrenamtliche sind Gesprächspartner und helfen bei der Reintegration

Von Claudia Lehnen

Als hätte jemand in einen großen Besteckkasten gegriffen, hallt es klappernd durch die Flure. Hier ist kein Vorhang, kein Teppich, der dieses Klappern dämpfen könnte. Die nackten Wände werfen sich die Geräusche gegenseitig zu. Für Edith Rappart und Ingrid Heineking war das Klappern des riesigen Schlüsselbundes das Schlimmste. „Dieser dicke Schlüsselbund, diese ständige Schließerei, das war gerade beim ersten Mal unheimlich bedrückend“, sagt Ingrid Heineking. Über ihre Stirn legt sich ein feines Netz an Falten.

„Viele kommen wieder“

Heute ist das Schlüsselklimpern für die beiden Rentnerinnen zu einem Stück Alltag geworden. Zu einem Teil ihres Lebens, das sie zumindest hin und wieder nicht in ihren gemütlichen Vorstadthäuschen, sondern regelmäßig auch im Gefängnis in Köln-Ossendorf verbringen. Rappart und Heineking haben auf ihre alten Tage nichts ausgefressen. Sie gehen nicht in den Knast, weil sie müssen. Sie verbringen einige Stunden der Woche hinter Gittern, weil sie inhaftierten Frauen helfen wollen.

Seit sechs Jahren engagieren sich Edith Rappart aus Bergisch Gladbach und die Kölnerin Ingrid Heineking bei der ehrenamtlichen Straffälligenhilfe Köln. Organisiert vom Sozialdienst katholischer Frauen (SKF), betreuen die beiden zusammen mit anderen Ehrenamtlichen die rund 250 Frauen, die derzeit in der Justizvollzugsanstalt Ossendorf inhaftiert sind.

Der Schwerpunkt der Arbeit liegt in der „Betreuung von Frauen während ihrer Haftzeit“, wie Ulrike Schlereth vom SKF erläutert. Gerade weil Menschen, während sie im Gefängnis sitzen, oft Schwierigkeiten haben, soziale Bindungen zu Angehörigen und Freunden aufrecht zu erhalten, können die Straffälligenhelfer vom SKF diese Kontakte zur Welt jenseits der Gitterstäbe ersetzen. Sie helfen den einsitzenden Frauen bei Schriftverkehr, der Suche nach einer Wohnung oder einem Arbeitsplatz nach der Entlassung, der Stabilisierung von sozialen Beziehungen und sind manchmal auch einfach nur Gesprächspartnerinnen, die zuhören.

Die 70 Jahre alte Edith Rappart und die 63-jährige Ingrid Heineking, die im Knast hauptsächlich mit Jugendlichen arbeiten, haben nicht den Anspruch, durch ihre Tätigkeit Menschen zu verändern. „Wir wollen gar nicht groß etwas bewegen. Verändern können wir die jungen Leute ohnehin nicht“, sagt Rappart.

Auch wenn sie vor sechs Jahren nicht mit großen Erwartungen begannen: Der letzte Rest an Optimismus ist Ingrid Heineking und Edith Rappart im Gefängnisalltag abhanden gekommen – irgendwo auf den langen Fluren, zwischen den vielen verschlossenen Türen, zwischen sich selbst verletzenden 16-Jährigen und 14 Jahre alten Mädchen, die genau über Handhabung und Funktion einer Pumpgun Bescheid wissen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil viele bekannte Gesichter unter den Neulingen auftauchen. „Viele kommen immer wieder“, berichtet Ingrid Heineking.

Gerade Drogenabhängige, die wegen Beschaffungsdelikten Strafen absitzen müssen, erklären laut Rappart schon während ihrer Haftstrafen freimütig, wie sehr sie sich auf den „ersten Zug freuen, wenn sie erst wieder in Freiheit sind“. Die Ziele ihrer Arbeit haben die Ehrenamtlerinnen deshalb niedrig gehängt: „Wir wollen den jungen Leuten ein paar schöne Stunden machen, die sollen sich mal freuen und das war‘s“, sagt Heineking, die in ihrem Englischkurs für Straffällige unter der Leitung des Sozialdienstes katholischer Männer (SKM) auch Jungen betreut.

Immer wieder schockiert

Aber auch wenn sie sich vorgenommen haben, der ungeschminkten Realität ins Auge zu blicken – manchmal sind die beiden Rentnerinnen doch wieder schockiert von den Feststellungen, die sie jede Woche aufs Neue machen.

„Die Mädchen haben ja gar keine Chance“, sagt Rappart. Meist war der Bruder auch schon im Gefängnis, der Vater sitzt noch immer, die Mutter trinkt, die beste Freundin hat man beim Drogen dealen kennen gelernt. Die familiäre Struktur sei in vielen Fällen so zerrüttet, dass die jungen Mädchen bei der Haftentlassung nur eine Frage umtreibt: „Wo soll ich eigentlich hin?“ Das einzige „Zuhause“, an das sich die Minderjährigen dann oftmals noch erinnern, ist die Drogenszene oder die Clique der ebenfalls kriminellen Freunde. „Die meisten fallen wieder um“, sagt Rappart.

Engagement trägt Früchte

Trotzdem denken die beiden Freiwilligen nicht daran, sich von diesen Erfahrungen frustrieren zu lassen. Manchmal, so betonen beide, gebe es ja auch die guten Erlebnisse, die Geschichten mit Happy-End, die davon erzählen, dass ihr Engagement manchmal eben doch Früchte trägt. Eine dieser Geschichten ist die der 22 Jahre alten Manuela. Noch keine 18 war sie, als sie wegen Dealerei hinter Gitter musste. Heute ist sie clean, hat wieder Kontakt zu ihrer Familie, einen festen Partner und eine kleine Tochter.

Manuela ist überzeugt, dass Gefängnis und Betreuung ihr Leben schließlich in die richtige Richtung gelenkt haben. Froh sei sie, dass man sie damals erwischt habe. Edith Rappart ist über die Jahre vorsichtig geworden mit euphorischen Sätzen. Über Manuela sagt sie dennoch: „Die müsste es erst einmal gepackt haben.“