Völlig losgelöst

Charles Wilp verjagte den Wirtschaftswundermuff aus der deutschen Werbung und entgrenzte Kunst und Massenkultur. Später schwebte er als Space-Art-Künstler in der Schwerelosigkeit. Am Sonntag ist Wilp nach langer Krankheit gestorben

VON HARALD FRICKE

Manche erinnern sich nur an die hübschen Mädchen. Marsha Hunt, Amanda Lear und Donna Summer. Bevor sie mit Pop und Disco Karriere machten, waren sie Models in einem Werbespot für Afri-Cola. Hinter einer vereisten Glasscheibe konnte man ihre offenbar nackten Umrisse sehen, dazu hörte man Kieksen und Kichern, bevor irgendwann der Slogan kam: „Sexy-mini-super-flower-pop-op-Cola, alles ist in Afri-Cola“.

Der Clip, den der Werbekünstler Charles Wilp 1969 produzierte, war ein gewagtes Unternehmen. Nicht nur wegen der für damalige Verhältnisse äußerst freizügigen Darstellung der Frauen. Das undeutliche psychedelische Geschehen sollte ein Gefühl von Rausch erzeugen, zumindest suchte Wilp genau diese Assoziation: Das Kultgetränk als Sixties-Droge für den Jugendlichen von nebenan, Highsein für die Massen.

Natürlich war die Kampagne von Wilp kaum mehr als ein cleveres Marketingkonzept. Trotzdem spiegelte sich darin auch ein gewandeltes Bewusstsein der gesellschaftlichen Bedingungen im Deutschland der Sechzigerjahre. Man war dem Nachkriegselend und dem Wirtschaftswundermuff entkommen – und damit endlich fit für den Pop der Moderne.

Diese Moderne aus Hedonismus und Konsum hatte der 1932 in Berlin geborene Wilp schon früh kennen gelernt. Nach dem Studium von Kunst und Wirkungspsychologie in Aachen wechselte er nach New York, um an der Design-Schule von Raymond Loewy bei Man Ray Fotografie zu lernen. Damals entstand auch eine der ersten Kampagnen von Wilp: Sein 1953 in einem wirbelnden Flugzeug gedrehter Werbespot für Puschkin-Wodka wurde auf den Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen gezeigt. Weitaus bekannter dürfte allerdings Wilps VW-Käfer-Reklame geworden sein, deren Slogan „Er läuft und läuft und läuft“ sich beim deutschen Publikum mindestens so sehr eingeprägt hat wie das „Yeah Yeah Yeah“ der Beatles.

Bei Wilp ging das Interesse für Design jedoch weit über den Kick schnell zu befriedigender Bedürfnisse hinaus. Er sah sich als Künstler im Sinne der Renaissance, der nur einfach das Medium gewechselt hatte – Werbung war für ihn die Darstellung einer idealen Welt, die nicht auf Mangel, sondern Überfluss beruhte. Doch auch mit Abstürzen kannte Wilp sich aus: Als Reaktion auf die Umweltverschmutzung sprengte er bei einer Aktion seinen Sportwagen „Weiße Orchidee“ in die Luft und bastelte aus den Trümmern ein Wandobjekt zusammen.

Immerhin, von Künstlerkollegen wurde sein Talent erkannt. Mit Joseph Beuys produzierte er Anfang der Siebzigerjahre gemeinsam Siebdrucke und von Harald Szeemann wurde er 1972 zur documenta V mit seinem „Konsumrealismus“ eingeladen, als es darum ging, die Entgrenzung von Kunst und Massenkultur voranzutreiben.

Doch für Wilp lag die Zukunft des Space Age nicht im Museum, sondern im All. Der Theoretiker und Erfinder Buckminster Fuller hatte seine „Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde“ geschrieben, Wilp wollte das Wissen nun in die Praxis umsetzen: Er produzierte „Space Sculptures“ aus Nasa-Forschungsmaterial, die 1986 mit in den Weltraum reisten, während er sich auf dem Dach seines Hauses ein Ufo baute. Später durfte Wilp am Astronauten-Trainingsprogramm der ESA teilnehmen, sodass der damals bereits 60-Jährige in 13.000 Meter Höhe über dem Nordatlantik der erste Künstler in der Schwerelosigkeit war. Damit war seine Mission fast am Ziel: „Space Art ist die Kunst, die die Erde von oben bewusst macht“, hat Wilp 1998 in einem Artikel für die 68er-taz geschrieben. Jetzt kann er nach einem langen Leiden dort oben weiterträumen.