Wo Neukölln sich locker macht

Am Ende der Hermannstraße testen jeden Tag hunderte Menschen kostenlos koreanische Massageliegen. Sie tun es mit Hingabe, manche sogar täglich. Und das Beste: Der Geschäftsführer hat nichts dagegen

Routiniert packen die Tester Laken aus und verstauen ihre Jacken in WäschekörbenEine Frau hat am Ende eine Liege gekauft – nach 13 Monaten täglichem Testen

VON ULRIKE LINZER

Der Gong ertönt, die Massageliegen müssen geräumt werden. 30 Testpersonen nehmen ihre Siebensachen aus den Wäschekörben neben den koreanischen Wunderpritschen und machen für die nächste Schicht Platz. „Am liebsten würde ich gleich noch einen Durchgang machen“, sagt Ali Gündoglu. Dabei testet er fast täglich.

Zweimal hintereinander geht ohnehin nicht: Vor dem Ladenlokal am Ende der Hermannstraße steht eine ganze Menschentraube und wartet auf das kostenlose Probeliegen im „Ceragem Master“. Hier ist der heimliche Wellness-Treffpunkt von Neukölln. Menschen aller Altersgruppen und Nationen entspannen sich auf einem Massagebuckel, der 40 Minuten lang vom Steiß zum Nacken und zurück rollt und heilende Wärme ausstrahlen soll. Testweise wohlgemerkt, denn Mehmet Ali Igde, der Geschäftsführer, verkauft ja die Liegen. „Eine Kombination von Moxa und Akupressur“, wirbt der Prospekt. Mit den Liegen begegneten sich traditionelle Medizin aus Fernost und die Technologie des 21. Jahrhunderts.

Auf jeden Fall findet bei Ceragem Master viel Begegnung statt: Rappelvoll ist es hier von morgens bis abends: allesamt begeisterte Tester, die nicht von den Liegen lassen können. „Wir haben viele Stammkunden, die meisten kommen täglich, und das schon seit über einem Jahr“, erzählt Igde, während er dankbare Hände schüttelt und sich seinerseits für den Besuch bedankt. Er kennt fast alle mit Namen und hat immer einen guten Rat oder Witz parat. „Inzwischen ist unser Massagestudio ein sozialer Treffpunkt. Die Leute verabreden sich sogar hier“, meint der 30-Jährige und legt den Arm um ein russisches Mütterchen.

Dass sich die meisten seiner Stammkunden die Anschaffung der koreanischen Wunderliege nie leisten könnten, weiß Igde. Immerhin beträgt ihr Stückpreis stolze 2.450 Euro. „Wir zwingen niemanden zum Kauf, die Leute können so oft testen, wie sie wollen. 20 bis 30 Liegen verkaufe ich aber pro Monat.“ Und einige seiner Stammlieger hätten nach Monaten des Testens und Sparens dann doch die Massage fürs eigene Heim bestellt. „Eine Kundin hat nach 13 Monaten täglichem Probeliegen eine gekauft.“

Igde selbst wurde nach einem Bandscheibenvorfall vor anderthalb Jahren Ceragem-Kunde in Wilmersdorf. Als er merkte, wie gut ihm die Massageliegen tun und wie viele Menschen auf sie schwören, machte er sich selbstständig: „Ich brauche keine Werbung, die zufriedenen Leute bringen durch Mundpropaganda neue Kunden.“

Und schon bittet der türkischstämmige Mann im schwarzen Anzug eine neue Schicht von Testern in den Raum mit den 28 Liegen. Routiniert packen die ihre zwei mitgebrachten Betttücher aus und verstauen Jacken und Taschen in den Wäschekörben. Igde und seine drei Mitarbeiterinnen wickeln die Testpersonen in Laken, legen ihnen noch ein wie ein Eierkocher aussehendes Gerät auf, das zusätzliche Wärme spenden soll, und starten per Knopfdruck die Maschinen.

Mei Mei seufzt wohlig und schließt die Augen. Seit November 2003 kommt sie fast täglich her. Und weil sie nun für ihre Schwiegermutter in China eine Liege bestellen will, soll sich auch ihre Schwester ein Urteil von der oft gepriesenen Massage bilden. Die schaut zunächst ein wenig erschrocken, als sich unter ihrem Rücken der geheimnisvolle Buckel in Bewegung setzt. „In dem Polster befinden sich acht Jadekugeln, die Infrarotstrahlen abgeben, vier auf jeder Seite der Wirbelsäule. Mit der Akupressur werden Ihre Muskeln massiert, die Moxa wärmt jeden Körperteil“, erläutert Herr Igde die koreanische Heilmethode. 13-mal verweilen die Jadesteine für zwei Minuten unter der jeweiligen Körperpartie und wärmen diese mit 60 Grad heißen Infrarotstrahlen.

Im Saal herrscht völlige Ruhe, alle scheinen sich auf ihre Entspannung zu konzentrieren. Die ist bei manchen so groß, dass sie bereits eingenickt sind. „Die meisten, die herkommen, arbeiten sehr viel und sehr hart. Sie haben nicht genug Zeit und Geld, um ihrem Körper etwas Gutes zu tun. Hier kriegen sie Wellness“, meint Meli Lubani. Die Albanerin arbeitet seit wenigen Wochen bei Ceragem, vorher war sie über ein Jahr lang Kundin. Auch sie scheint geläutert von der wundersamen Behandlung. Ob Bandscheibenvorfall, hoher Blutdruck oder Meniskusprobleme – gegen all das hätten die Liegen ihr schon geholfen, meint sie. Produziert werden die Massagebetten am Ceragem-Hauptsitz in Korea. Filialen gebe es in 30 Ländern, 300 in China, 150 in den USA. In Berlin seien es inzwischen drei Massage-Treffpunkte, außer dem an der Hermannstraße noch einer in Spandau und einer an der Wilmersdorfer Bundesallee.

Ein Gong ertönt: Zeit zum Umdrehen. Die Probeliegenden müssen sich nun zum Endspurt auf den Bauch legen. Eine zehnminütige Bauchmuskelmassage soll das Wohlgefühl perfekt machen. Auch Herr Igde begibt sich wieder in Stellung, die nächste Verabschiedungsrunde steht gleich bevor. Wenn das Schlusssignal ertönt und die Tester erwacht sind, strömen gleich die Nachfolger herein. 40 Minuten liegen und nichts tun – das tut einfach gut.