Signale einer Großmacht

Indien nimmt nur zögerlich ausländische Hilfe an. Das Land pocht auf eine neue Rolle

DELHI taz ■ Innerhalb einer Woche wurden für die Opfer der Tsunamis weltweit zwei Milliarden Dollar an staatlichen Geldern gesammelt. Kaum davon profitieren werden die knapp eine Million indischen Familien entlang der Südostküste des Subkontinents und auf dem Archipel der Andamanen und Nikobaren. Denn die indische Regierung hatte erklärt, das Land sei auf Hilfe von außen nicht angewiesen. Es verfüge über genügend Mittel, nicht nur seiner Bevölkerung zu helfen, sondern auch anderen Ländern. US-Präsident Bush bestärkte die indische Regierung, als er Indien in eine Kerngruppe von vier Ländern (mit Australien, Japan und den USA) einschloss, welche die Hilfe in der Region koordinieren könne.

Schon Stunden nach der Flut trat in Delhi der Krisenstab unter Premier Manmohan Singh zusammen. Am Nachmittag flogen erste Armeehelikopter entlang der Küste von Tamil Nadu, und am gleichen Tag wurden vier Schiffe der Marine ins Katastrophengebiet von Sri Lanka abkommandiert. Einige Tage später folgte ein Spitalschiff, ein zweites wurde nach Aceh entsandt, erst dann wurde ein drittes in eigenen Gewässern des Nikobarenarchipels stationiert.

Für viele Beobachter sollte diese Aktion ebenso wie die anfängliche Ablehnung von Hilfsangeboten aus der ganzen Welt in Erinnerung rufen, dass Indien ein Land ist, das nicht nur für sich selbst sorgen kann, sondern auch seine Rolle als regionale Großmacht erfüllt. Das Meer, in dem sich das Beben ereignete – so formulierte es ein indischer Diplomat – heiße schließlich Indischer Ozean. Und er wies darauf hin, dass die Südspitze der Nikobaren nur sechzig Seemeilen vom Epizentrum entfernt liege – aber tausend Meilen vom indischen Festland. Indien verfüge nicht nur über die weitaus größte Kriegsmarine in der Region. Seine Streitkräfte von über 1,2 Millionen Mann hätten zudem – wegen der Desasteranfälligkeit des Landes – große Erfahrung in Katastrophenhilfe.

Die Armee hat diese Erfahrung bereits oft und mit relativ großer Effizienz unter Beweis gestellt. Ausländische Hilfswerke erkennen dies an und wissen, dass Delhi schon bei früheren Gelegenheiten den Einsatz internationaler Teams – und natürlich militärischer Einheiten – abgelehnt hatte. Auch die indischen Gliedstaaten verfügen über Mechanismen der Katastrophenhilfe. Diese konzentrieren sich auf die zweite Einsatzphase – die Versorgung mit Medikamenten, Nahrungsmitteln und Notunterkünften.

So konnten die Staaten Tamil Nadu und Andhra Pradesh – häufige Opfer von Wirbelstürmen – Ärzte und Nahrungsmittelkonvois rasch in die zerstörten Bezirke bringen. Nur in Kerala, das bisher von solchen Naturereignissen verschont geblieben war, vergingen Tage, bis die Lokalregierung den Ernst der Lage erfasst hatte. Und auf den Nikobaren sind selbst die Militärs trotz ihrer Stützpunkte überfordert, da sie nicht über die nötige Infrastruktur (etwa in Form amphibischer Fahrzeuge) verfügen.

Die indischen Medien haben bisher gegen deren Großmachtgebaren wenig einzuwenden gehabt. Dieses Auftreten findet auch deshalb Anklang, weil sich gerade in der wirtschaftlichen Elite immer mehr die Meinung breit macht, dass Indien wirtschaftliches Großmachtpotenzial hat und dieses (in Anlehnung an China) kompromissloser als bisher nach außen projizieren sollte. Die Schwierigkeiten auf den Andamanen und Nikobaren, wo viele Opfer immer noch nicht versorgt werden konnten, zeigen aber die Grenzen dieses Anspruchs. Die Kritik internationaler Hilfsorganisationen wegen des mangelnden Einbezugs ihrer Dienste findet ihr Echo in Zeitungen, die auf die kritische Lage auf den Inseln hinweisen.

„Unser Land ist groß genug, um sich selbst zu helfen“, betonte gestern Finanzminister Chidambaram zwar noch einmal, fügte aber angesichts von geschätzten Flutschäden in Höhe von 1,6 Milliarden Dollar hinzu: „Der langfristige Wiederaufbau erfordert aber massive Investitionen.“ Der Minister ergänzte, dass der Vorwurf, Indien isoliere sich und nehme keine internationale Hilfe an, nicht zutreffe.

Regierungssprecher in Delhi verwiesen bisher darauf, dass zum einen ausländische Hilfe über NGOs weiterhin willkommen sei. Zum andern stehe mit dem „Prime Minister’s National Relief Fund“ ein Instrument zur Verfügung, das direkt den Opfern zugute komme und auch für Hilfe von außen offen stehe. Doch zeigt die Gesamtsumme des Fonds von umgerechnet 140 Millionen Dollar, dass auch Indien angesichts der Milliardenschäden –auf sich allein gestellt – doch überfordert sein könnte.BERNARD IMHASLY