Der Sonnengott der Tamilen in Sri Lanka

Vellupillai Prabhakaran, Chef der Befreiungsbewegung LTTE, ist möglicherweise ein Opfer der Flut

Lebt Vellupillai Prabhakaran oder wurde er wie 40.000 seiner Landsleute ein Opfer des Tsunami? Dass der militärische Anführer der tamilischen Befreiungsbewegung LTTE im Norden und Osten Sri Lankas seit dem 26. Dezember nicht mehr gesehen wurde und nicht einmal eine Videobotschaft an sein Volk gerichtet hat, nährt Gerüchte, die von der LTTE als infame Feindpropaganda abgetan werden. Das plötzlich sehr prominente Auftreten von Commander Soosai, dem Chef der LTTE-Marine, passt aber ebenso in das Bild wie die Meldung, mit einer Ladung Hilfsgüter sei ein besonders luxuriöser Sarg an die Befreiungstiger geliefert worden.

Dass deren Gründer sich rar macht, gehört zu seinem Image. Nur am Tag der Helden, dem 27. November, richtete er eine Botschaft an seine Leute. Das überlebensgroße Porträt des 50-Jährigen hängt in allen öffentlichen Gebäuden im Selbstverwaltungsgebiet der LTTE. Deren Kader sprechen ehrfurchtsvoll von ihrem „Führer“. Angeblich hörte er es auch gern, wenn man ihn als „Sonnengott“ anredet. Für seine Gegner ist er aber der Inbegriff von Mordlust und Skrupellosigkeit. Wie seine Kämpfer trug er stets eine Zyankalikapsel um den Hals. Denn ein Tiger fällt dem Feind nicht lebendig in die Hände.

Vellupillai Prabhakaran war zwar als Jugendlicher ein begeisterter Leser – besonders Geschichten von Alexander dem Großen und Napoleon beeindruckten ihn –, aber kein guter Schüler. Deswegen bekam er einen Hauslehrer, der ihm vom bewaffneten Kampf vorschwärmte. Prabhakaran hatte schon als Kind miterlebt, wie ein singhalesischer Mob Tamilen erschlug oder lebendig verbrannte. Als viertes Kind einer tamilisch-hinduistischen Mittelstandsfamilie an der Nordküste der Halbinsel Jaffna genoss er eine strenggläubige Erziehung. Aber das Unrecht, das die singhalesisch-buddhistische Mehrheit Sri Lankas der Minderheit zufügte, sollte sein Denken bestimmen. Mit 20 Jahren machte er sich mit der Ermordung des Bürgermeisters von Jaffna einen Namen. Der Mann galt als enger Vertrauter der damaligen Präsidentin Sirimavo Bandaranaike, die eine die Tamilen diskriminierende Verfassung erlassen hatte.

Prabhakaran musste untertauchen und lebte lange Zeit im indischen Bundesstaat Tamil Nadu, wo nach dem großen Pogrom von 1983 nicht nur das Volk, sondern auch die Regierung große Sympathie für die Sache der tamilischen Brüder Sri Lankas zeigte. Die Tiger durften dort ihre Ausbildungscamps einrichten, bekamen Waffen und Geld für den Befreiungskampf. Prabhakaran soll nicht nur 1991 den Selbstmordanschlag auf den damaligen indischen Ministerpräsidenten Rajiv Gandhi in Auftrag gegeben haben, sondern auch einen seiner engsten Weggefährten, Mahattaya, als zu wenig konsequent im Kampf ermordet haben. Sein Tod würde bei der singhalesischen und muslimischen Bevölkerung Sri Lankas als Geschenk des Himmels gefeiert werden. RALF LEONHARD