„Schwul? Hässliches Wort. ‚Verzaubert‘ klingt viel besser, gell?“

Niemand könnte sagen, wo der öffentliche Rudolf Moshammer aufhörte und wo der private begann. Und das war dem Modeschöpfer auch sehr recht gewesen. Vor vier Jahren, als er, auf dem Höhepunkt des um ihn entfalteten Hypes, am Grand-Prix-Vorentscheid in Hannover teilnahm, sagte er auf die Frage, ob er sich freue, langsam zur schwulen Ikone zu werden, er könne „mit diesem hässlichen Wort nichts anfangen“. Mit welchem denn? „ ‚Verzaubert‘ klingt viel besser, gell?“

So war jene Figur, die sich Rudolf Moshammer nannte und nach freundlichem Urteil von Boulevardreportern „sich für nichts zu schade war“, wohl tatsächlich: ein homosexueller Mann wie andere, die ihre Selbstwahrnehmung aus den dumpfen Frühsechzigern beziehen mussten – und mit dem damals noch diskriminierenden Wort „schwul“ selbstverständlich nichts anfangen konnten. Und sich, weil ihr sexuelles Triebschicksal doch eine schönere Wortfassade brauchte, „verzaubert“ nannten. So empfand sich Moshammer, 64 Jahre, nach eigenen Angaben jedoch „seit langer Zeit alterslos“: ein Prinz, der verzaubert wurde – und sich anstrengen muss, sich aus der Gosse herauszuarbeiten.

Dafür braucht man Energie, und die hatte Moshammer gewiss im Überfluss. Der Vater, angeblich einst Regierungsdirektor – ein aggressiver Trinker, der Frau und Kind mit Schlägen malträtierte und schließlich als Obdachloser endete. Mutter und Sohn hatten sich da längst von ihm losgesagt und blieben sich ein Leben lang treu. Als Mutter Else 1993 starb, verlor die Society von München auch ein Traumpaar. Alles an ihnen, alles an Rudolf Moshammer wirkte übertrieben, überheizt und vielleicht deshalb extranatürlich. Ein Leben in Brokat, Gold, Porzellanweiß, in Rokoko und Barock, in Rüschen und Volants. Nie wäre Moshammer, nimmt man seinen Lebensroman ernst, auf die Idee gekommen, die Künstlichkeit, die Inszenierung seiner selbst zu verbergen. Eine Differenz zwischen öffentlicher und privater Existenz verbot sich insofern ohnehin – Moshammer war es nur recht.

Ob berichtet wurde, dass in seinem Kühlschrank nur Champagnerflaschen Marke Moët & Chandon liegen; ob er sagte, dass er seine Perücke dem Andenken des bayerischen Königs („Kini“) Ludwig widme: Alles an ihm und um ihn herum hatte die Qualität eines krass überbelichteten Fantasystreifens.

Kein Wunder, dass Andy Warhol sein Idol war, der Amerikaner, der selbst wusste, was Armut ist, und sich zum Label, unabhängig von seiner Produktpalette, machen konnte. Moshammer liebte camp, das ästhetische Vermögen, sich jeder falschen Bescheidenheit zu entziehen und den Luxus für erstrebenswert zu halten. Alles eine Nummer deutscher, klar, aber wie Warhol glorios in erster Linie dem Eigennutz, das heißt dem Triumph über die Herkunft und die hässlichen Worte, verpflichtet. Ein protestantisches Pochen auf Einkehr? Ein schlechtes Gewissen? Es ist nicht überliefert. Sein Rolls-Royce-Kennzeichen lautete, natürlich: M-RM 111.

Und Moshammer schaute wirklich auf das Schöne. Anfang der Siebziger fand er die amerikanische Bürgerrechtskämpferin Angela Davis bezaubernd, vor allem ihre Frisur – und kaufte sich selbst eine Perücke nach ihrem Bilde. So einer sagte auch ohne Koketterie: „Mein Eindruck ist, dass nur Punks und ich noch Wert auf eine Frisur legen.“ Eine Künstlerexistenz, deren Gründer nur in Oberflächen die Wahrheit finden wollte und fand.

Seine Boutique – oder besser: sein Bürgerzentrum der Münchner Schickeria? – liegt an der Maximilianstraße. Dort begann sein Aufstieg mit Bademänteln – und endete mit dem Bestseller Rudolf Moshammer himself. Der Laden heißt Carneval de Venise. Ein Verweis auf die Liebe zu Masken und zur Opulenz wie zur Uneigentlichkeit hinter Hüllen. Moshammer gewöhnte sich schwer an die besseren Zeiten für „Verzauberte“. Jüngst meinte er aber, dass er keine Kinder, keine Erben habe, sei schade. Ihnen hätte er gern etwas hinterlassen. JAN FEDDERSEN