Intarsien der Zwangsarbeit

Die Ausstellung „UnterMenschen?“ beleuchtet das Leid der Zwangsarbeiter im Altkreis Moers. Vom Band laufen Erinnerungen, gezeigt wird aber auch die Kunstfertigkeit der Verschleppten

AUS MOERS HOLGER ELFES

Nach der Tsunami betrauert Deutschland eine Katastrophe – rund 700 Deutsche gelten als vermisst. Doch ebenso viele Sowjetbürger starben im Altkreis Moers während des Zweiten Weltkriegs als Zwangsarbeiter. Der Vergleich stammt von Bernhard Schmidt vom Verein „Erinnern für die Zukunft“. Für ihn ist das System der Zwangsversklavung „eine Katastrophe also die unendlich viel größer war“. Mit 700 Opfern sei die linke Rheinseite des Kreises Wesel „in etwa repräsentativ fürs Deutsche Reichsgebiet gewesen“.

Gemeinsam mit dem Erinnerungsverein zeigt das Grafschafter Museum im Moerser Schloss die Ausstellung „UnterMenschen?“. Wie Vieh stehen die Menschen auf dem Ausstellungsplakat in Güterwaggons. Wie Vieh wurden sie in den Fabriken und auf den Bauernhöfen behandelt. Die Ausstellung lässt die letzten noch Überlebenden in aufgezeichneten Interviews zu Wort kommen und zeigt zugleich kunsthandwerkliche Arbeiten der Gefangenen.

An sechs Hörstationen berichten die Sklavenarbeiter unter anderem über ihren Alltag – darunter ist Soja Iwanowna Dmitriewa-Omeltschuk: „Neben mir stand ein Soldat, der plötzlich anfing, mich anzuschreien, weil die Russen im Bus nicht mitfahren und schon gar nicht sitzen durften. Ich wurde rot, und die Tränen flossen aus meinen Augen. Ein Zechenarbeiter hat mich in Schutz genommen, er hat mit dem Soldaten geschimpft und gesagt, dass er mich beleidigt hat.“

In vielen der aus der Sowjetunion an den linken Niederrhein verschleppten Menschen steckten wahre Künstler. Das zeigen 35 von Zwangsarbeitern geschaffene Objekte. Sie stammen aus den Beständen des Weseler Sammlers und ehemaligen Pfarrers Werner Abresch.

Zauberhafte Kästchen, geflochten aus nichts als Stroh, zeugen von der Kunstfertigkeit vor allem der ukrainischen Gefangenen. Ausgelegt sind die Kästchen mit Krepppapier, war das nicht vorhanden, war es Butterbrotpapier. Gab es auch das nicht, genügte ein Stück Karton. Die Werbung für Speisestärke von „Dr. Oetker“ etwa schmückt das Innere eines dieser Strohkästchen.

Aus purer Not entstanden die Meisterwerke. Eingetauscht unter Lebensgefahr gegen ein paar Stücke Brot, sicherten sie das Überleben – zumindest für eine Weile. Manche Objekte wurden aber auch aus Dankbarkeit angefertigt. Davon sprechen Widmungen, die bisweilen zu finden sind. Etwa das „Andenken an Sascha“ auf der Rückseite eines Kästchens.

„Manchmal gibt es auch eine mündlich überlieferte Geschichte“, so Abresch. Vom Sperrmüll eines Altenheims konnte er eine Holzkiste mit aufwändigen Stroh-Intarsien retten. Über Bekannte einer verstorbenen Bewohnerin fand Abresch heraus, dass das Stück von einem bei der Düsseldorfer Maschinenfabrik Sack eingesetzten Zwangsarbeiter stammte, der nebenbei als Gärtner im Hause der Verstorbenen arbeitete. Offenbar aus Dankbarkeit bastelte der Mann die Kiste, von der sich die Beschenkte bis zu ihrem Tod nicht trennen wollte.

28 Infotafeln sorgen dafür, dass man die Nöte der verschleppten Menschen nicht vergisst. Detailliert wird die grausame Behandlung der Sklavenarbeiter geschildert. Vereinzelt gab es auch couragierte Hilfe seitens einzelner Deutscher. Eine besonders ergreifende Dankesgabe steht gleich im ersten Raum. Ein aus Holz geschnitzter Spielzeugvogel bekam nach dem Krieg eine farbenfrohe Bemalung, diente weiter als Kinderspielzeug und steht so gleichsam wie ein phönixhaftes Symbol für den Neuanfang.

Die Ausstellung ist bis 20. Februar dienstags bis freitags von 9 bis 18 Uhr und am Wochenende von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Infos: 02841-201727