Lausige Zeiten

Kopfläuse sind auch in hiesigen Breiten keine Seltenheit. Die Vorurteile ihnen gegenüber auch, dabei fühlt sich der Parasit auch in gepflegtem und frisch gewaschenem Haar durchaus wohl

von Anja Humburg

Fünf Punks sitzen auf dem Rasen des Hamburger Instituts für Hygiene und Umwelt (HU). Sie plaudern, trinken Bier, spielen mit ihren Hunden. Trotzdem ist es keine Alltagsszene. Allesamt sind sie in weiße Bademäntel gehüllt und auf einem Schild hinter ihnen steht geschrieben: Entlausungsstation. Goldgeist Forte wirkt gerade auf ihren Köpfen ein.

Als die Gruppe im Sommer vorigen Jahres zur Behandlung auftauchte, wunderten sich selbst die HU-Mitarbeiter. „Eigentlich ist kalte Zeit lausige Zeit“, erklärt der Institutsbiologe Udo Sellenschlo. Eingehüllt in warmer Winterkleidung bieten die Menschen der Kopflaus (lat. Pediculus humanus capitis) „optimale Bedingungen“, ihre ökologische Nische möglichst dicht zu bevölkern. Da die Läuse weder springen noch fliegen können, sei die Übertragung nur auf direktem Wege möglich. Hauptsächlich durch Körperkontakt, aber auch Mützen und Jacken, die an Kindergarten- und Schulgarderoben nahe beieinander hängen, Kämme, Kissen, Autositze und Kopflehnen gelten als ausgesprochen gute Läuseschleusen.

„Trotz der hohen Hygienestandards sind Kopfläuse auch in Europa immer noch weit verbreitet“, hält Sellenschlo fest, „denn im Gegensatz zur landläufigen Meinung fühlt sich der Parasit in gepflegtem und frisch gewaschenem Haar ebenso wohl wie in der naturbelasseneren Haarpracht.“ Repräsentative Statistiken darüber fehlen jedoch, eine Meldepflicht bei Kopflausbefall gibt es in der Bundesrepublik nicht.

„Anders als bei Zecken spielen durch die Kopflaus übertragene Infektionskrankheiten wie Rückfall-, Fünftage- und Fleckenfieber in Westeuropa seit Jahrzehnten nur noch eine untergeordnete Rolle“, sagt Sellenschlo. Die größte Gefahr für den Wirt sei das ständige Kratzen. Offene Wunden können sich beim Kontakt mit den Ausscheidungen des Insekts entzünden, was eitrige Hautausschläge oder schlimmstenfalls die Schwellung der Lymphknoten zur Folge habe.

Wegen des geringen Krankheitswertes besteht laut Infektionsschutzgesetz (IfSG) deshalb nur eine Mitteilungspflicht, einerseits für Erziehungsberechtigte und Mitarbeiter gegenüber Schulen und Kindergärten, andererseits für LeiterInnen von Gemeinschaftseinrichtungen gegenüber dem Gesundheitsamt. Ein Attest über „Läusefreiheit“ gestattet die Rückkehr in die Einrichtungen. Aber heißt „Läusefreiheit“ gleich läusefrei?

Für Dirk Petersen, Umweltberater der Verbraucherzentrale Hamburg, birgt der Kompromiss zwischen verantwortungsbewußtem Handeln und unbürokratischem Umgang mit dem parasitären Befall in der Realität einige Schlupflöcher: Längst nicht immer ist gleich die erste Behandlung mit verschreibungspflichtigen oder rezeptfreien Shampoos, Gels und Sprays zu 100 Prozent erfolgreich. Aus den übrig gebliebenen Nissen, die Eier der Läuse, schlüpfen nach acht bis zehn Tagen die Larven und produzieren neue Generationen. „Kein Mittel tötet alle Eier sofort sicher ab“, warnt Dr. Birgit Habedank vom Umweltbundesamt, die die Wirkung der Präparate testet.

„Nachkontrollen sind dringend erforderlich“

Die chemischen Mittel sind wegen ihrer Inhaltsstoffe, zum Beispiel Pyrethrum – auch in Goldgeist enthalten – und Lindan, gesundheitsschädlich. Alternativ verwendete Hausmittel wie Essigwasser oder Heißluft wirken dagegen meist nur schwach. „Eine Wiederholungsbehandlung und Nachkontrollen sind dringend erforderlich“, unterstreicht Habedank. Daneben müssen die Eier mit dem Nissenkamm aus dem Haar entfernt und alle kontaktierten Gegenstände entweder bei mindestens 60 Grad gewaschen oder 24 Stunden in einem Plastikbeutel verschlossen in der Tiefkühltruhe aufbewahrt werden.

Ahnungslosigkeit, Behandlungsfehler und vorschnell ausgestellte Scheine sind für Petersen die größten Risikofaktoren – häufig verantwortlich für den „Ping-Pong-Effekt“, den abermaligen Ausbruch der Läuselast. Zudem kann der Arbeitsaufwand zusammen mit panischem Verhalten, ausgelöst durch Scham und Unsicherheit, schnell zur Überforderung in der brisanten Situation werden.

Ratlose Eltern oder auch Menschen, die sich die Mittel nicht leisten können, nutzen daher oft den kostenlosen Service des Hygieneinstituts. „Wer Läuse hat, hat keinen Grund, sich schämen zu müssen“, bekräftigt Sellenschlo. „Auch Ärzten und Rechtsanwälten kriechen sie klammheimlich auf den Kopf.“

Informationen des Instituts für Hygiene und Umwelt unter ☎ 428457970 und www.hu.hamburg.de