Die Grünen haben ein lesenswertes Schulkonzept vorgestellt
: Entgiftet die Schulen

Die Grünen, respektive die Spitzen von zehn Landtagsfraktionen, der Bundesfraktion und was es der Gremien mehr gibt, haben als erste Partei nach Pisa ein umfassendes Positionspapier zur Schulbildung vorgestellt – und das ist richtig gut geworden. Es kann eine Grundlage sein für die längst überfälligen Friedensgespräche zur Beendigung des 30-jährigen deutschen Bildungskrieges. Schluss mit dem Schisma: entweder Leistung oder humane Schule. Nicht mehr diese so eitle wie bequeme Generalkritik: erst wenn wir eine bessere Gesellschaft haben, kann es auch eine gute Schule geben. Nein. Nächste Schritte könnten gar nicht zu klein sein, wenn dabei der Horizont erweitert wird.

Die Grünen lassen keinen Zweifel daran, dass die frühe Selektion in Deutschland ein Gift ist, das auch die Leistungsbereitschaft lähmt. Aber sie wissen, dass die anstehende Entgiftung den ganzen Bildungskörper betrifft. Eine orthopädische Generalkur des vermaledeiten gegliederten Schulsystems allein reicht nicht. Die bloße Organisationsdebatte darüber könnte zur Neuauflage des alten Liedes führen: vor der großen Reform können wir nichts machen.

Deshalb ist es gut, ein neues Leitbild zu formulieren. Und Kompliment, es ist kein Leidbild der Bildungsphilister geworden. Also: Schulen müssen selbstständig sein. Dann kommt dort eine die Schüler ansteckende Souveränität auf. Sie müssen Zeit haben und ihre Rhythmen finden. Den ganze Tag offene Türen und die Lehrer müssen da sein. Das heißt Ganztagsschule. Bis zum neunten Schuljahr bleiben alle Schüler zusammen. Das hat den Vorteil, endlich die Illusion von homogenen Lerngruppen aufzugeben. Die Gemeinschaftsschule ermöglicht das Recht und die Lust, verschieden zu sein. Lehrer müssen für all das keine Beamte sein, aber sie müssen Ideen haben und menschenfreundlich sein. Standards müssen gesetzt werden. Aber sie dienen nicht dem Rausprüfen, Angstverbreiten und Beschämen. Sie helfen, sich Rechenschaft zu geben. Und sich zu verbessern. Das ist häufig anstrengend, aber macht irgendwann richtig Freude. REINHARD KAHL