Gratisfahren für alle

NULLTARIF In der belgischen Stadt Hasselt wurde 1995 eine kleine Revolution eingeleitet

Gelegentlich beschweren sich ältere Leute, weil Jugendliche am Wochenende in den Bussen Partys veranstalten

AUS HASSELT BERND MÜLLENDER

Der Bus umkurvt die Innenstadt, gedrängt voll mit Schulkindern und Erwachsenen auf dem Weg zur Arbeit oder zum Einkaufen. Er fährt den zweispurigen grünen Boulevardring mit seinen Platanen entlang, früher eine unfallträchtige Stau- und Gestankroute. Der 72.000-Einwohner-Ort Hasselt, 70 Kilometer nordwestlich von Aachen, hat 1995 die kleine Revolution eingeleitet. Der damals 40-jährige Bürgermeister Steve Stevaert, ein ehemaliger Kneipenwirt, sah seine Stadt vor dem Verkehrskollaps. Ein dritter Autoring müsse her, sagten die einfallslosen Stadtplaner. Unbezahlbar und umweltfeindlich, entgegnete Sozialdemokrat Stevaert, das ziehe zudem nur neuen Verkehr an. Stevaert, heute aufgestiegen zum Gouverneur der Provinz Limburg, setzte stattdessen auf Gratisbusse. Bürgertum und Autolobby staunten und schimpften. Undurchführbar! Naiv! Grüner Spinner! „Weil wir kein Geld hatten, war der Bus umsonst“, sagte Stevaerts, „das mag paradox klingen, aber es funktionierte.“

Der Bus, der die Altstadt mit ihren feuerroten Backsteinhäuschen und ihrem einladenden Wochenmarkt umfährt, ist einer von 50 auf 12 Linien. Früher gab es gerade mal acht Busse und zwei Linien, die pro Tag kaum tausend Passagiere nutzten. Seit der Einführung des Umsonstverkehrs im Juli 1997 hat sich die Zahl der Fahrgäste verdreizehnfacht. Der innere Ring wurde von vier auf zwei Spuren zurückgebaut, es entstanden breite Radwege und kleine Platanenalleen. Seitdem ist die Luft besser, der Lärm geringer, und es gibt weniger Unfälle, weil der Autoverkehr zurückgegangen ist – mal abgesehen vom zusätzlichen Verkehr aus dem Umland, weil Hasselt neugierig macht, weil das Shopping in seinen verwinkelten Sträßchen chic geworden ist, weil Kneipen und Cafés boomen. Obwohl die Stadt bei den Einwohnerzahlen nur Platz 19 einnimmt, hat sie sich seitdem auf einen stolzen vierten Platz der belgischen Einkaufsstädte hochgearbeitet – nach Brüssel, Antwerpen und Lüttich. Die Busfirma kassiert jährlich etwa 1 Million Euro jährlich von der Stadt, dazu weitere Zuschüsse von der Provinz. Diese Kosten und die entgangenen Fahrscheineinnahmen fängt Hasselt durch deutlich erhöhte Gewerbesteuereinnahmen auf.

Mit dem Bus ist auch das Stadtmuseum bequem zu erreichen. Dort soll im Sommer ein Bildnis des früheren Bürgermeisters Steve Stevaert angebracht werden, den die Einwohner von Hasselt heute „Stevie Wonder“ nennen. Das Lebensgefühl sei ein anderes geworden – ruhiger, geselliger, entspannter, erzählt Kim Tempels, Öffentlichkeitsreferentin in der Stadtverwaltung. „Gerade Alte“, sagt sie, „haben sich zu Einkaufsgemeinschaften zusammengetan und fahren jetzt gemeinsam in die Stadt. Ein schöner sozialer Aspekt. Und viele Familien haben den Zweitwagen abgeschafft.“ Nachahmer des Hasselter Modells gibt es trotzdem noch immer nicht. „Hier waren Journalisten, Politiker und Stadtplaner zu Hunderten, sogar aus Tel Aviv“, erzählt die Referentin. Aber nicht jede Stadt weist eine für solch ein Projekt so günstige Straßenstruktur auf wie Hasselts mit seinen zwei Ringen, der klaren geometrischen Struktur und der überschaubaren Größe. Zuletzt hatte die rot-grüne Koalition in Aachen die Idee der Gratisbusse umsetzen wollen, war dann aber eingeknickt.

Der Bus fährt weiter. Gut gefüllt, aber es gibt noch freie Plätze. Das ist nicht immer so. Gelegentlich beschweren sich ältere Leute, weil Jugendliche am Wochenende in den Bussen Partys veranstalten. Sie fahren hin und her und steigen einfach nicht mehr aus. Busfahren in Hasselt macht eben Spaß.

Für Besucher sind jedoch nur die mit einem H gekennzeichneten Innenstadtbusse gratis. Wenn sie nicht aufpassen, werden sie unversehens zu Schwarzfahrern in der Stadt, die das Schwarzfahren abgeschafft hat.