Kampf um Deutung

Wie der Wirtschaftstheoretiker Walter Eucken dem Versuch entging, als Lobby-Häppchen verkauft zu werden

BERLIN taz ■ Aus der Financial Times Deutschland (FTD) fiel gestern wieder eines jener kleinen Heftchen, mit denen die FTD seit November 2004 ihre Mittwochsauflage beträchtlich gesteigert hat. „Pixibücher“ nennen die FTD-Redakteure die handlichen kleinen Zusammenfassungen der „Klassiker“ der Wirtschaftslehre. Gestern: Milton Friedman. Ergänzend zum Pixibuch gab’s im Meinungsteil der Zeitung eine Friedman-Lobrede vom US-Wirtschaftsexperten George W. Bush.

Angekündigt war für gestern eigentlich ein ganz anderer Klassiker: Walter Eucken. Das Eucken-Pixibuch jedoch musste die FTD stoppen – wegen einer gerichtlichen Strafandrohung, erwirkt von der Familie des 1950 gestorbenen Freiburger Wirtschaftstheoretikers.

Der Eucken-Enkel und Chef des Walter Eucken Archivs, Walter Oswalt, erklärt: Erstens sei die Lehre Walter Euckens sachlich falsch dargestellt. So sei etwa Ludwig Erhard, in die Geschichte der Bundesrepublik als „Vater der sozialen Marktwirtschaft“ eingegangen, beileibe kein „Schüler“ Euckens gewesen – sowenig wie Eucken ein „Berater“ Erhards war. Zweitens will Oswalt der Darbietung Euckens in einer „Grauzone zwischen Journalismus, Werbung und Lobbypolitik“ ein „juristisches Nein entgegensetzen“.

Denn die FTD-Pixibücher werden zwar von der Schweizer Firma getAbstract verfasst und von der FTD-Redaktion verantwortet. Laut Titel erscheinen sie jedoch „in Kooperation mit“ der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), einem Lobby-Subunternehmen des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall.

Oswalt sieht einen „systematischen Zusammenhang“ zwischen der inhaltlichen „Verzerrung von Euckens Werk“ und seiner Darstellung im INSM-geprägten Rahmen. Die vorherrschende neoliberale Wirtschaftslehre wolle auch Denker wie Eucken vereinnahmen, „stromlinienförmig“ machen. Oswalt verteidigt Eucken als „Machtkritiker“, der nicht vor allem die Wirtschaft vor zu viel Staat schützen wollte, sondern – unter anderem – die Politik vor der Macht der Großkonzerne.

FTD-Chefredakteur Steffen Klusmann hält die Anwürfe des Eucken-Archivs für „absurd“. Die INSM sei bloß der Sponsor: „Die bezahlen das – aber da könnte genauso gut Nestlé draufstehen.“

Auf diese Weise ist der Kampf um ein rosa Heftchen auch ein Kampf um wirtschaftspolitische Deutungshoheit. Das Freiburger Walter Eucken Institut, im Gegensatz zum Archiv bislang nicht durch Neoliberalismus-Kritik aufgefallen, distanziert sich ebenfalls vom Eucken-Pixibuch. Man habe die FTD längst auf grobe Fehler in der auf der getAbstract-Website einsehbaren Kurzversion hingewiesen, erklärt das Institut.

Die FTD überlegt, wegen entstandener Verluste zurückzuklagen. ULRIKE WINKELMANN