Der Hang zur Klarheit

Egon Eiermann war ein Verfechter der Moderne. Berlin hinterließ er Lippenstift und Puderdose, den umstrittenen Neubau der Gedächtniskirche. Zum 100. Geburtstag widmet das Berliner Bauhaus-Archiv dem berühmten Architekten eine Retrospektive

VON JAN ROSENKRANZ

Das Beste, was einem Architekten wohl passieren kann: Ein von ihm gebautes Haus bekommt einen Spitznamen. Egon Eiermann, einem der berühmtesten Architekten der Nachkriegsmoderne, wurde diese Ehre gleich zweimal zuteil. In Berlin stehen „Lippenstift und Puderdose“ (Turm und Achteckbau der Gedächtniskirche), in Bonn der „lange Eugen“ (ehemaliges Abgeordnetenhaus).

So richtig glücklich wurde der Architekt aber mit keinem der beiden Projekte, wie die Retrospektive „Egon Eiermann – Kontinuität der Moderne“ nahe legt, die am Samstag im Bauhaus-Archiv eröffnet wird. Anlass der ersten großen Werkschau ist der 100. Geburtstag des 1970 verstorbenen Architekten. Der war zwar schon im September, aber da wurde die Ausstellung in Karlsruhe gezeigt, wo Eiermann ab 1947 eine Professur hatte.

Übersichtlich und klar gegliedert in acht Bereiche werden 25 Hauptwerke vorgestellt – von frühen Berliner Wohnhäusern bis zu den auffälligen „Olivetti-Türmen“ in Frankfurt am Main. Alles im Stile des Neuen Bauens: modern, aber nicht mehr so streng wie Gropius oder Mies van der Rohe. Auch der Möbeldesigner Eiermann, dem mit untypisch organischen Formen sogar einige Klassiker gelungen sind, wird vorgestellt. Zu sehen sind Skizzen, Fotos und Modelle, Nichtarchitekten sollten also zum Audioguide greifen.

Aufgewachsen in der Nähe von Potsdam, Studium in Berlin, Meisterschüler bei Hans Poelzig, ließ sich Eiermann 1930 in Berlin als freier Architekt nieder. Als die Nazis auch die Bauherren wurden und die Moderne „anständiger Baugesinnung“ wich, flüchtete sich Eiermann in den Industriebau. Hier konnte er seinem Hang zu Einfachheit und Klarheit fast ungestört nachgehen. Hier ließ sich nebenbei auch ganz gut Geld verdienen.

Sein wichtigster Bau ist jedoch der umstrittene Neubau der Gedächtniskirche von 1961. Weil die Berliner eben sind, wie sie sind, hat es jede Menge Tamtam gegeben. Im ersten Entwurf war der Erhalt der Kriegsruine nämlich gar nicht vorgesehen. Eiermann wollte sie schlicht abreißen. Was keine Funktion mehr hat, kann weg – so sind sie, die Modernen. Nur hatte Eiermann da die Berliner unterschätzt. Sie sammelten binnen Tagen 40.000 Unterschriften für den Erhalt der Ruine. Eiermann wollte den Auftrag fast schon zurückgeben, ließ sich aber darauf ein, den „hohlen Zahn“ zu integrieren.

Die Ruhe hielt nicht lange an. Bei einem Baustellenbesuch stellte Eiermann fest, dass der neue Turm ein Stückchen näher am Ku’damm stehen müsste. Kurzerhand ließ er die Arbeiten stoppen. Der zuständige Senator erfuhr es aus der Presse. Der Skandal war groß, aber Eiermann war schließlich ein Star. Und nun einer mit Herzinfarkt.

Der internationale Durchbruch war ihm mit dem deutschen Pavillon für die Weltausstellung Brüssel von 1958 gelungen. Der leichte Flachbau durchbrach bewusst die Tradition zur nazideutschen Machtbauweise. Weil diese leisen Töne offenbar auch in der Politik Anklang fanden, wurde Eiermann mit dem Bau eines Abgeordnetenbürohauses in Bonn beauftragt. Es sollte vielen Platz bieten, aber nicht viel Platz nehmen. So musste der erklärte Hochhaushasser hoch und höher bauen. Es entstand der „lange Eugen“ – benannt nach dem damaligen Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmaier, einem langen Kerl.

Sogar mit Bestattungskultur befasste sich Eiermann, wie die Ausstellung zeigt. Angeregt durch Arbeiten für den Bestatter Grieneisen, dem er bereits Anfang der 30er-Jahre zwölf Fillialen gestaltet hatte, entwarf Eiermann auch moderne Särge. „Einfache Kisten“ sollten es sein. 1970 wurde er in seinem Entwurf beerdigt: Eiche, eckig, blau.

Zurück blieben ein umfangreicher Nachlass und Gebäude, die Denkmalschützer zur Verzweiflung bringen. Man müsse im 20. Jahrhundert davon ausgehen, so Eiermann, dass diese Gebäude in 50 Jahren keine Funktionalität mehr haben und abgerissen werden müssen. So baute er sie auch. Besuchen Sie Eiermann, solange er noch steht.

Bauhaus-Archiv, Klingelhöferstr. 14, bis 16. Mai, täglich außer dienstags, 10–17 Uhr. Eintritt 6 €, erm. 3 €. Katalog 24 €.