Zwischen den Rillen
: Im Auftrag ewiger Glückseligkeit

Nach der großen Dancefloor-Krise: Die Chemical Brothers suchen Zuflucht im HipHop, Justus Köhncke im Deutschpop

Es gibt Stücke, auf die sich alle einigen können. „Galvanize“ von den Chemical Brothers ist seit langer Zeit wieder mal so eine Single, die in den nächsten Wochen aus dem Radio schallen und auf dem Dancefloor umso wuchtiger kommen wird. Der Neo-Disco-Track „Timecode“ von Justus Köhncke wiederum bekam sein Dauer-Airplay auf Freiluftpartys des Sommers 2004 und in der folgenden Clubsaison, wo er vom ersten Takt an magische Glückseligkeit verbreitet hat. So verschieden Kontext und Ästhetik der beiden Dancehits auch sind, haben sie die Erwartungen an die nun erscheinenden Alben gleichsam hochgeschraubt.

Beim fünften Album der Chemical Brothers bestätigt sich der Weg zu Stylefusionen im Breitwandformat. Der Crosssover zum HipHop sorgt wieder für etwas Bodenhaftung, hatten sich Tom Rowlands und Ed Simons im Flirt mit dem Mainstream doch arg verzettelt. Unentschlossen zwischen Song und Track, Charts und Club, Glam und Schmutz schienen sie im Pub für alternde, britische Dance-Music-Pioniere zu versacken.

Der Titel des neuen Albums benennt den Ausweg: „Push The Button“ will wieder zum Sound, für den man noch Knöpfe drückte, statt mit der Maus zu clicken. So kehren sie mit tausend Referenzen an die unschuldigen Jahre zurück, als sie noch zwei hässliche Nerds in Manchester waren, die aus Synthie-Pop, HipHop und Rave die Bigsten Beats schlugen. Wo früher ein Noel Gallagher als Gastsänger den Beatles hinterhernölen durfte, näselt heute der A-Tribe-Called-Quest-MC Q-Tip lässig über ein verstrahlt hallendes Dönerbuden-Sample.

Der Rap „Left Right“ mit Mos Defs Bruder Anwar Superstar kleidet die Chemischen gar im zeitgemäßen Look militanter Bush-Kritik. Weiterhin stellen sich bereits von Grandmaster Flash verwendete Electro-Bassläufe, Hustlertum à la Pharrell und Timbaland zitierende Dancehall-Riddims wieder in die hybride Tradition von schwarzer Popmusik, ohne die heutzutage wohl keine Grammys mehr zu gewinnen sind.

Die in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre starke Verbindung von Dance Music mit HipHop, die später von der mit Indierock abgelöst wurde, erlebt auf dem besseren Drittel des Albums eine erfreuliche Frischzellenkur. Dagegen wirken die Crossoverversuche der Chemical Brothers und ihre funktionalen Clubstücke mit Trommelwirbelhysterie und Sirenengesängen wie von gestern, als England noch die Hoheit auf europäischen Technofloors behaupten konnte.

Diese musste das Königreich längst an Deutschland abtreten. Für diesen Wandel stehen besonders die Exportschlager des Kölner Kompakt-Labels. Dort hat man Minimal Techno inzwischen durchdekliniert. Die Explosion aber ist in einen weltweiten Fallout von Epigonen gemündet. Mit Disco-Updates und besonders sentimentalen Popsongs hat Justus Köhncke ein unterschwelliges Feld der Technomarke zum Vorschein gebracht und damit die Post-Minimal-Phase des Labels eingeläutet. Während sich die Chemical Brothers in jedem Song um Vielseitigkeit bemühen oder Ex-Whirlpool-Productions-Kollege Hans Nieswandt ein Album voller Dancepoplieder veröffentlicht, hat Köhncke sein Autorenmodell radikalisiert, indem er Song und Track voneinander getrennt hat.

Was auf dem Vorgänger „Was ist Musik“ von 2002 noch zu „Schlagertechno“ fusionierte, will Köhncke auf dem neuen Album „Doppelleben“ nicht mehr der „Zwangsbeglückung“ anheim fallen lassen. Damit meint er den Moment, wenn die Missverständnisse der Sprache die pure Intensität der Bassdrum unterbrechen. Oder wenn man auf der B-Seite des Clubbretts von seinem Gesang zugeschnulzt wird.

In Köhnckes binärem Universum haben akribisch analysierte, retroaktive Disco-Archetypen nach wie vor ihren Platz – allerdings ohne Gesang und stark dezimiert. Wer sich nach dem Erscheinen von „Timecode“ auf ein glamouröses Dance-Album gefreut hat, sieht sich mit einer deutschsprachigen Pop-LP konfrontiert. Getanzt wird in Zukunft ausschließlich zu den 12-Inches. Musikalisch speisen sich die Liebeslieder aus einem riesigen, zu Eigen gemachten Popmusik-Archiv, das von Nile Rodgers über Gitte bis Jürgen Paape reicht. Da kann ein synthetischer Basslauf entfernt an „Come Together“ oder die Neubauten erinnern, Selbstzitate blitzen auf, und eine Coverversion hallt als Echo von Köhnckes Solo-Debüt „Spiralen der Erinnerung“ nach.

Die Suche nach Bezügen wird diesem eigenständigen Entwurf von organisch-digitalen Songs jedoch nicht gerecht. Wohl aber muss man den Künstler und sein gewaltiges Bedürfnis nach Liebe fühlen, um die Intimität und Emphase der Liedtexte zu ertragen, die entfernt an Blumfeld erinnern. UH-YOUNG KIM

The Chemical Brothers: „Push The Button“ (Virgin); Justus Köhncke: „Doppelleben“ (Kompakt)