In Männerwelten

Die große Kunst als männliche Verkörperung amerikanischer Tugend: John Updikes neuer Roman „Sucht mein Angesicht“

VON BRIGITTE WERNEBURG

Wir erinnern uns noch an das große Kunstereignis des letzten Jahres, als „Das MoMA in Berlin“ die Geschichte der modernen Kunst als eine zunächst rein europäische Angelegenheit präsentierte, um in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem restlosen Triumph der amerikanischen Kunst zu enden. Dies schien dem Kunsthistoriker Werner Spiess damals äußerst fragwürdig. Doch für Kathryn D’Angelo, eine 27-jährige New Yorker Journalistin, ist die Sache klar. Sie spricht ganz unumwunden von dem historischen Moment, der „Explosion, als alles zusammenkam und Amerika die Rolle von Paris übernahm und wir zum allerersten Mal führend waren in der Weltkunst“.

Eigentlich spricht hier der amerikanische Erfolgsschriftsteller John Updike, den diese Situation in seinem neuesten Buch, „Sucht mein Angesicht“, umtreibt. Der jungen Kunstkritikerin stellt er deshalb die 79-jährige Hope Chafetz gegenüber, die von sich sagen kann, sie sei dabei gewesen. Nicht als Malerin, obwohl die junge Frau sie in dieser Rolle aufsucht. Kathryn D’Angelo ist ins ländliche Vermont gereist, um die Künstlerin einen Tag lang über ihr Leben und ihr abstraktes, grau in grau gemaltes Werk zu interviewen. Doch Hope, nun Witwe des Financiers und Sammlers Jerome Chafetz, ist vor allem die bessere Hälfte, nicht nur von einem Genie des künstlerischen Aufbruchs Amerikas, sondern gleich von zweien. Zunächst von Zack McCoy – Pseudonym für den Maler Jackson Pollock – und dann von Guy Holloway, der eine Mischung aus Robert Rauschenberg, Jasper Johns, Roy Lichtenstein, und, allen voran, Andy Warhol darstellt.

Letztlich, so bedeutet Hope mit der resignierten Weisheit des Alters ihrer Interviewerin, fanden alle ihre drei Ehemänner sie unwichtig. Es wundert also wenig, dass auch Hope sich unwichtig findet. Denn was stellt sie schon dar, gemessen an der Herausforderung, die die Leinwand bedeutet? Einer Herausforderung, zu der sie, wie Hope glaubt, nie etwas beizutragen hatte.

Das liegt nicht an ihrem persönlichen Unvermögen. In dem Maße, in dem es Hope in ihrem gebrochenen Selbstbewusstsein möglich ist, lässt Updike sie durchaus von ihren Bildern überzeugt sein. Weich vermischen sich in ihnen die abgestuften Graustreifen und ziehen „wie die Dämmerung“ herauf. Es liegt an der Geschichte der amerikanischen Kunst von 1940 bis 1975, wie John Updike sie sieht. Diese Geschichte, angefangen beim Abstrakten Expressionismus mit Jackson Pollock, Mark Rothko oder Barnett Newman, bis hin zur Pop-Art und ihren Protagonisten, ist eine reine Männergeschichte. Denn „Fotzen können nicht malen. Es gibt Dosen, und es gibt Pinsel. Dosen malen nicht. Sie ragen nicht vor. Stöcke und Pinsel malen.“ Das ist natürlich Rollenprosa. Updike legt diese Worte Jackson Pollock in den Mund und zeigt das Genie als Einfaltspinsel. Doch die grobe These gibt Updikes Verständnis vom Aufstieg und Fall der künstlerischen Moderne in Amerika, ihrem Aufbruch in Poesie und ihrem Ende als Produkt, durchaus ihren Rahmen.

Denn die Antwort auf die Frage, warum er diese Geschichte, die wissenschaftlich wie populär doch schon so oft erzählt wurde, noch einmal aufrollt, liegt in der Diskussion der Tugenden und Schwächen von Männern und Frauen. Nach Hope bedarf Größe in der Kunst der Rücksichtslosigkeit und der Grenzverletzung. Frauen sind dazu unfähig. Sie denken zu viel nach. Das aber ist unumgänglich auch die Aufgabe des Schriftstellers. Hopes Selbstbezichtigungen sind die John Updikes. Er ist ja nicht nur Autor, sondern veröffentlicht ebenso als Kritiker. Regelmäßig schreibt er für die New York Review of Books über große Ausstellungen und Künstler. „Sucht mein Angesicht“ liefert letztlich weniger Aufklärung über die Kunst von Jackson Pollock oder Robert Rauschenberg als über Updikes Selbstverständnis als Kritiker und Schriftsteller, ein Selbstverständnis, das er deutlich zu dem Amerikas in Beziehung setzt.

Der Romanautor Updike spielt dem Kunstkritiker Updike die Bälle zu, und dieser gibt dem Autor umgekehrt jenen Raum, die Tugenden, deren Amerika sich rühmt, als Merkmale großer Kunst zu analysieren. Zunächst eben das tief verankerte religiöse Empfinden. „Jedes Bild ein Ringen mit Gott“, lässt er einen Beamten des State Department über den Abstrakten Expressionismus an einer Schlüsselstelle des Romans sagen. Einer großartigen, weil rundweg infamen Szene, denn ausgerechnet ein Regierungsagent vertritt den glühenden Patriotismus, der gleichfalls zu Amerikas Tugenden gehört. „Freiheit in Aktion, Baby. Nur in Amerika. Diese Kraft, dieses Gefühl, diese Kühnheit, dies gleichzeitig nach innen und nach außen Gerichtete. Hey, wollt ihr Revolution? – Hier habt ihr sie!“, ereifert sich der junge Mann, der die neue Kunst Amerikas in Propagandaausstellungen nach Europa verschickt: „Die Künstler dieses Landes haben Großes geleistet.“

Doch das entscheidende Kennzeichen großer Kunst als Verkörperung amerikanischer Tugend heißt eben: Männlichkeit. Auch hier bringt Updike mit Hilfe der Überzeichnung seine ambivalente Haltung zum Ausdruck. Doch er überzeugt damit nicht. Hätte die Homosexualität vieler seiner Protagonisten, gerade aus der Zeit der Pop-Art, die er rundweg ignoriert, die Fragwürdigkeit von Männlichkeit nicht sehr viel besser ins Spiel gebracht?

John Updike: „Sucht mein Angesicht“. Aus dem Amerikanischen von Maria Carlsson. Rowohlt Verlag, Reinbek 2005, 320 Seiten, 19,90 Euro