Der Rhythmus löst Hemmungen

Die heilpädagogische Einrichtung „Gute Hand“ in Kürten wird zu einem Reittherapiezentrum für autistische Kinder ausgebaut. Eine Studie soll Krankenkassen die Wirksamkeit der Therapie aufzeigen

Von CLAUDIA LEHNEN

Sein erstes Wort sprach Jonathan, als er vom Pferd geklettert war. Einen Kontakt zu seiner Umwelt herzustellen fällt dem Sechsjährigen nicht leicht. Er leidet unter Autismus, bislang brachte der Junge kein verständliches Wort über die Lippen. Die Reittherapie hat nun angeschlagen, die Nähe zum geduldigen Pferd, der Rhythmus der Bewegungen haben ihm den Mund geöffnet. „Lecker“, hat er gesagt, als er seinem geduldigen Träger nach dem Reiten einen Apfel anbot. Heute kann Jonathan auch eine Banane verlangen, er sagt „Nase“, „Ohr“ und „Auge“.

Bei der „Guten Hand“ in Kürten hat man es sich zur Aufgabe gemacht, autistische Kinder über mehrere Jahre zu betreuen und mit Hilfe verschiedener Therapieansätze auf ein möglichst normales Leben vorzubereiten. Mit Hilfe einer Spende von der Vodafone Stiftung Deutschland in Höhe einer halben Million Euro an die Deutsche Kinderhilfe Direkt wird nun bis Mai 2005 die Einrichtung zu einem Reittherapiezentrum für autistische Kinder umgebaut.

Der Bau der Reithalle ermöglicht nicht nur den 68 stationär untergebrachten Kindern die Möglichkeit einer Reittherapie. Auch verhaltensauffällige und behinderte Kinder aus dem Rheinisch-Bergischen Kreis sollen die Angebote in Kürten wahrnehmen können. „Der ganzheitliche Ansatz, den die Einrichtung mit der Kombination aus Wohnen, Arbeiten und Therapeutischem Reiten für die Kinder verfolgt, hat uns überzeugt“, sagt Norbert Westfal, Geschäftsführer der Vodafone Stiftung.

Dass Jonathan im Zuge der Reittherapie sein erstes verständliches Wort artikulierte, ist für Heilpädagogin und Reittherapeutin Marietta Schulz einfach zu erklären. „Das aufrechte Sitzen auf dem Pferd befördert die Freiwerdung des Kehlkopfes“, sagt die Therapeutin, die seit 15 Jahren in der frühkindlichen Förderung tätig ist. Dadurch falle es den Kindern leichter, ihre Stimme klar und verständlich einzusetzen. Aber nicht nur auf diese mechanische Weise profitierten kleine Autisten von der Therapie auf dem Pferd. „Die Kinder machen die Erfahrung, dass sie etwas lernen können. Das steigert ihr Selbstwertgefühl und ermutigt zu weiterem Lernen“, sagt Schulz.

Auch wenn die Therapeutin sich sicher ist, der Entwicklung ihrer Schützlinge durch das Reiten den entscheidenden Anstoß zu geben – wissenschaftlich fundiert ist die Nützlichkeit von Reittherapie für autistische Kinder noch nicht. Weshalb auch die Krankenkasse bislang nicht bereit ist, die Kosten für die Therapie zu übernehmen. „Bisher finanzieren wir das zu einem großen Teil durch Spenden“, sagt Catja Teicher, Pressereferentin der Guten Hand. Die unsichere finanzielle Situation soll sich in Zukunft ändern. Gefördert durch die Deutsche Kinderhilfe Direkt und das Deutsche Kuratorium für Therapeutisches Reiten hat die Gute Hand eine Studie gestartet, die die Wirksamkeit des heilpädagogischen Reitens bei Kindern mit autistischen Störungen beweisen soll. Wenn das fünfjährige Projekt in einem guten Jahr abgeschlossen sein wird, hofft die Gute Hand, Kostenträger dazu zu bewegen, die Therapiekosten zu übernehmen.

Bis zur Fertigstellung der Reithalle im Mai werden die Kinder in einer benachbarten Reithalle Kontakt zu den extra geschulten Pferden aufnehmen. Jonathan wird noch öfter runterfallen. Er wird weinen und „Knie“ sagen. Auch das hat er schon gelernt.